„Nichts wirkt von heute auf morgen“

DB Cargo ist die größte Güterbahn Europas. Die Tochter der Deutschen Bahn beschäftigt allein in Deutschland rund 20.000 Menschen in unterschiedlichen Berufszweigen. Die Bürofachkraft genauso wie den Servicetechniker oder den Triebfahrzeugführer. Und so verschieden die Anforderungen an die einzelnen Tätigkeiten sind, so unterschiedlich sind die psychischen und physischen Belastungen für die jeweiligen Mitarbeiter. Diese heterogene Beschäftigungsstruktur macht die Implementierung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements schwieriger, aber nicht unmöglich, wie Kai Rappenecker, Leiter Health Management Deutschland DB Cargo, im Interview mit PRÄVENTION AKTUELL verrät.

DB Cargo hat 2019 für sein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) den Corporate Health Award gewonnen. Was macht das BGM der DB Cargo so besonders?

DB Cargo ist das erste Geschäftsfeld im DB-Konzern, das im Sinne eines qualitätsorientierten BGM flächendeckend Strukturen geschaffen hat. Es wurde je ein Arbeitskreis für Gesundheit in den zwölf Wahlbetrieben eingerichtet. Für mehrere Jahre wurde ein eigenes Budget zur Verfügung gestellt und mit einem „PDCA-Zyklus“, kurz für Plan-Do-Check-Act, haben wir effektive Prozesse geschaffen. Von Vorteil ist, dass wir neben eigenen Cargo-spezifischen Gesundheitsmaßnahmen auch auf die große Vielfalt der Präventionsangebote des DB-Konzerns zugreifen können.

Kai Rappenecker ist Leiter Health Management Deutschland DB Cargo.

Kai Rappenecker ist Leiter Health Management Deutschland DB Cargo. Foto: Privat

Gab es einen bestimmten Anlass, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen?

Die Ergebnisse aus der Konzern-Mitarbeiterbefragung 2014, die Fehlzeiten in bestimmten Tätigkeitsgruppen und die Einsicht, etwas hinsichtlich unserer Demographie gesundheitlich tun zu müssen, waren die wichtigsten Gründe dafür. Das „Health Management“ gibt es bereits seit 2012, Mitte 2017 haben wir die Prozesse und Strukturen nochmals überarbeitet.

Welche Maßnahmen umfasst das BGM der DB Cargo?

Neben den geschilderten Strukturen und Prozessen handelt es sich um Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnisprävention. Wir versuchen durch angepasste Arbeitsmittel, optimierte Arbeitsumgebung sowie durch Verhaltenstraining körperliche und psychische Belastungen zu reduzieren und die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu optimieren – zusätzlich zu den bestehenden gesetzlichen Regelungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Konkret von zum Beispiel Rückenstützgurten über funktionelle Unterkleidung für Berufe im Freien, bis hin zu speziellem Training für Beschäftigte und Führungskräfte im Bereich Bewegungsverhalten und Resilienz und gesunde Führung. Davor steht immer eine genaue Bedarfsanalyse der vorhandenen Belastungen.

Wie viel unterschiedliche Berufsgruppen sind bei DB Cargo tätig?

In Deutschland arbeiten rund 20.000 Beschäftigte. Wir unterscheiden für das BGM in sieben bis acht Haupt-Tätigkeitsgruppen, von Büro bis Triebfahrzeugführer, aber Berufe haben wir natürlich noch einige mehr.

Vermutlich wird bei den vielen verschiedenartigen Berufsgruppen kein BGM „von der Stange“ in Frage kommen?

Genau. Es wird in Analysen und Kassenreports der BAHN-BKK für jede Tätigkeitsgruppe die jeweilige Belastung mit anschließend passenden adäquaten Maßnahmen ermittelt, im Arbeitskreis Gesundheit diskutiert und anschließend umgesetzt.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem BGM?

Die Erhaltung der Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zeiten des demographischen Wandels, verbunden mit einer eigenverantwortlichen Teilhabe an gesundheitlichem Arbeits- und Freizeit-Verhalten hinsichtlich Life-Balance, Belastungsreduzierung und gesundheitlicher Aufklärung. Natürlich spielen auch Werte wie Motivation, Fürsorge des Arbeitgebers und der Führungskraft sowie die Bindung der Mitarbeiter zum Unternehmen eine Rolle. Ziel ist Erhalt und Optimierung der Arbeits- und Leistungsfähigkeit.  

Ein BGM kann nur funktionieren, wenn Belegschaft und Führungskräfte sich daran beteiligen. War es, sie dafür zu motivieren?

Es ist ein stetiger und kontinuierlicher Prozess, der gerade erst begonnen hat und noch lange gehalten wird. Der „Ball ist ins Rollen“ gekommen durch die Entscheidung des Vorstandes, Geld zu investieren, nötige Strukturen zu schaffen und auch etwas Geduld zu üben für die Effekte einer Nachhaltigkeit. Durch die Gesundheits-Arbeitskreise sind die Führungskräfte Teil des BGM und ihre „eigenen Macher“ geworden. Da wir erst jetzt dabei sind, alle Führungskräfte durch Seminare gemeinsam mit der BAHN-BKK und dem zentralen Health Management zu schulen, wird die Motivation dazu immer größer, denn Interesse besteht daran bei sehr vielen Kolleginnen und Kollegen. Dazu bedarf es viel interner Kommunikation, wie bei allen Themen.

Hatten Sie externe Hilfe bei der Implementierung?

Nein, da ich als Auditor im Qualitätsmanagement und dem BGM sowie langjähriger Vorstand im Bundesverband BGM, kurz BBGM e.V., und Dienstleister sowie Berater im BGM sehr viel Fachwissen und Erfahrung mitbringe, wurde „die Blaupause“ zusammen im Team Health Management und den Stakeholdern diskutiert und umgesetzt.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Einführung des BGMs?

Das Verständnis für das Thema in seiner Komplexität („Wir machen doch schon Rückenkurse…“) als Management-Tool und die Zeit beziehungsweise Betroffenheit, sich damit auseinanderzusetzen. Da war gute Führung und Beratung gefragt – es wurde uns mit viel Vertrauen in unsere Arbeit gedankt. Ansonsten ist es der typische „innere Schweinehund“ und die fehlende Zeit der Führungskräfte dafür, konsequent etwas umzusetzen. Ohne einen Fachbereich in Vollzeit-Verantwortung geht das nicht – nur nebenher zum Job, wie bei vielen Unternehmen, funktioniert BGM nicht nachhaltig und effektiv.    

Und wie wurde das BGM von der Belegschaft aufgenommen?

Mit Neugier, ob es nur von kurzer Dauer ist und was es wohl bringt – aber auch mit viel Interesse. Aber wir müssen es noch breiter in der Belegschaft verankern! Es wissen vermutlich immer noch zu wenige darüber Bescheid.

Spielen Apps oder andere digitale Tools eine Rolle im BGM der DB Cargo?

Eine immer größere Rolle, auch wenn die Präsenz eines Trainers vor Ort (noch) nicht zu ersetzen ist. Das haben wir in der Coronazeit gesehen. Vieles war inzwischen möglich auch digital – aber viele Trainings wurden nicht umgesetzt, da die operativ Mitarbeitenden lieber persönlich vor Ort Trainings machen, als über Web-Konferenzen. Dies geht mit der Zielgruppe Bürobeschäftigte/Overhead deutlich leichter.   

Ein Betriebliches Gesundheitsmanagement kostet Geld. Ist es gut investiert?

Ja, definitiv. Aber nichts wirkt von heute auf morgen.

Und hat es bislang den gewünschten Erfolg gehabt?

Ja, alle anderen Geschäftsfelder des DB-Konzern schauen inzwischen sehr genau auf uns. Unser Geschäftsfeld hat den höchsten Altersschnitt und hohe körperliche Belastungen, dennoch sinken die Fehlzeiten im Vergleich am deutlichsten beziehungsweise steigt die Zufriedenheit messbar.

Auf was sollten Unternehmen, die ebenfalls ein BGM einführen wollen, besonders achten?

Keine zu hohen oderschnellen (Krankenstands-)Ziele, gutes Expertenwissen, Engagement des Vorstandes und das klare Ziel, ein BGM mit allen nötigen Strukturen, Budget und nötiger Manpower und Geduld umzusetzen bzw. betreiben zu können.

Vielen Dank für das Interview.

Ein Artikel von
Falk Sinß

10. November 2020

Kategorie

Wissen