Damit aus der Leitstelle keine Leidstelle wird
Ergonomie im Rettungsdienst
Ob Brand, Unfall, medizinischer Notfall oder die Meldung einer Straftat – wer in einer Leitstelle arbeitet, muss auch in stressigen Situationen kühlen Kopf bewahren, um schnell und richtig handeln zu können. Dabei hilft ein ergonomisch eingerichteter Arbeitsplatz enorm.
Text: Karsten Vogel
AUF DEN PUNKT
- Bei der Gestaltung der Arbeitsplätze auf Ergonomie achten, also Licht/Beleuchtung, Akustik und Arbeitsmittel
- Mitarbeiter bei der Planung frühzeitig einbinden
- Doppelnutzung von Räumen für höhere Effizienz und Wirtschaftlichkeit
Im Ernstfall kann es um Sekunden gehen, die über Leben und Tod entscheiden. Diesem Stress sind die Disponenten in Rettungsleitstellen täglich ausgesetzt. Dazu kommen noch die Belastungen der Schichtarbeit. Gute Rahmenbedingungen zu schaffen, ist daher wichtig.
Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel der Kooperativen Regionalleitstelle West (KRLS) in Elmshorn. Dort sorgen 150 Disponenten für die Sicherheit von etwa 877.000 Einwohnern im westlichen Schleswig-Holstein. Mitarbeiter von Feuerwehr, Rettungsdienst, Katastrophenschutz und Polizei koordinieren jeden Tag mehr als 1.000 Einsätze und nehmen jährlich 240.000 (Notrufnummer 112) bzw. 150.000 (Notrufnummer 110) Notrufe entgegen. Nach rund drei Jahren Bauzeit war das Gebäude im Sommer 2018 fertig. Die Leitstelle ist immer noch eine der modernsten in Deutschland und besitzt Modellcharakter, wenn es um ergonomisch gestaltete 24/7-Arbeitsplätze geht.
Mitarbeiter testen und bewerten ihre Arbeitsmittel
Für die ergonomische Gestaltung der Räume waren gute Lichtverhältnisse und eine für die Leitstellenarbeit optimierte Akustik als Grundanforderungen definiert worden. Aber auch die durchgängige Einhaltung ergonomischer Vorgaben an den Arbeitsplätzen wurde schon bei der Planung berücksichtigt. Dabei war klar: Gerade kleinere Störfaktoren könnten einer ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung im Wege stehen und unnötigen Stress verursachen. Deshalb wurden die Mitarbeiter von Anfang an in den Planungsprozess einbezogen.
Die Disponenten testeten und bewerteten alle Elemente, die sie bei der Arbeit nutzen, in einem Punktesystem – vom Leitstellenpult über die Großbild-Visualisierung bis hin zum Leitstellensessel. Bei der Bewertung wurde der finanzielle Aufwand berücksichtigt und zwischen Wünschenswertem und Machbarem unterschieden. Das Ergebnis ist eine Leitstelle, die nicht zuletzt in ergonomischer Sicht Maßstäbe setzt.
Die großen Fensterflächen sorgen nicht nur für helle Räume, sondern entsprechen auch dem Wunsch der Disponenten nach einer Verbindung zur Umwelt – mittendrin statt nur dabei. Alle Leitstellenpulte sind höhenverstellbar, sodass die Sachbearbeiter im Sitzen oder im Stehen arbeiten können. Die Lüftungsschlitze für die Klimaanlage sind in die Möbel integriert, zudem wird die Luft angefeuchtet. Die durchdachte ergonomische Gestaltung zeigt sich vor allem in den Details: In jedem Leitstellenpult ist eine Schublade mit Ausfräsungen für eine standardisierte Büromaterial-Grundausstattung integriert. So erkennt der Mitarbeiter beispielsweise bei einem Schichtwechsel auf einen Blick, ob die Ausstattung komplett ist. Darüber hinaus gibt es eine persönliche, transportable Mitarbeiterbox, die exakt in eine Schublade der Bürocontainer passt und individuell mit Inhalten bestückt werden kann.
Leitstellenstuhl: komfortabel, flexibel und belastbar
Besonders wichtig ist für die Disponenten der Leitstellenstuhl, denn sie verbringen den größten Teil ihrer Arbeitszeit sitzend am Schreibtisch. Entsprechend ergonomisch, komfortabel und belastbar müssen die Stühle also sein, die sie selbst ausgesucht haben. Dabei legten sie besonderen Wert auf eine intuitive Handhabung, Sitzkomfort und eine flexible Anpassung für die unterschiedlichen Arbeitssituationen.
Auch bei der Farbgestaltung wurde nichts dem Zufall überlassen: Monitore und Hintergrundblenden im Blickfeld des Nutzers sind im Farbton „Lichtgrau“ gehalten, um Leuchtdichteunterschiede mit den Fensterflächen zu verringern. Textile Bodenbeläge wurden als Kontrast in Anthrazit gewählt, Decken in Weiß.
Durch drei verschiedene Grüntöne, die sich im gesamten Gebäude wiederfinden, werden farbliche Akzente im ansonsten neutralen Konzept gesetzt.
Aktiv- und Ruheräume als Teil des Konzepts
Die Disponenten können zum sportlichen Ausgleich einen Aktivraum mit Laufband und Geräteturm nutzen. Ruhebereiche wie zum Beispiel eine kleine Terrasse wurden so eingerichtet, dass sie die Leitstellenetage für kurze Pausen nicht verlassen müssen. Zudem bietet ein Entspannungsraum mit Massagesessel Erholung nach stressreichen Einsatzstunden.
Für eine höhere Effizienz und Wirtschaftlichkeit lassen sich manche Räume doppelt nutzen – die Ruheräume sind beispielsweise so angeordnet, dass sich jeweils zwei Räume eine Nasszelle teilen. Zusätzlich zum obligatorischen Bett wurden sie auch mit einem Schreibtisch und WLAN ausgestattet. Die Räume sind damit auch als ruhiges Studienzimmer nutzbar. Stabs- und Lageräume wurden – wenn möglich – so eingerichtet, dass sie ohne Umrüstaufwand auch als Konferenz- bzw. Besprechungsräume genutzt werden können.
Pluspunkt in Zeiten des Fachkräftemangels
Seit sechs Jahren ist die Leitstelle in Betrieb, bereits jetzt ist klar: Der finanzielle Mehraufwand für die ergonomische Gestaltung der Arbeitsumgebung ist bezogen auf die geplante Nutzungsdauer des Gebäudes und wegen der rechtzeitigen Berücksichtigung der Mitarbeiteranregungen bei der Planung sehr gering. Die größere Mitarbeiterzufriedenheit dürfte sich zudem beispielsweise in weniger krankheitsbedingten Ausfalltagen niederschlagen und die Mehrkosten langfristig ausgleichen. Die Orientierung an den Bedürfnissen der Mitarbeiter ist in Zeiten des Fachkräftemangels ein Pluspunkt bei der Nachwuchs-Rekrutierung.
DER AUTOR:
Karsten Vogel ist Geschäftsführer des Bürostuhlherstellers StolComfort. Die 24-Stunden-Stühle des deutsch-schwedischen Ergonomie-Spezialisten kommen unter anderem in Rettungsleitstellen zum Einsatz. www.stolcomfort.com
Ein Video zur Elmshorner Leitstelle gibt es auf Youtube: www.stolcomfort.com/referenzen