Der negative Teppich
Der Gebäudesektor ist für 40 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Diese teilen sich auf in die Bereiche Baustoffe, Errichtung, Nutzung und Entsorgung, wobei Baustoffe und Nutzung die größten Anteile ausmachen. Baustoffhersteller reagieren mittlerweile darauf, wie das Beispiel eines Herstellers für Bodenbeläge zeigt.
Text: Franz Roiderer (Redaktion)
AUF DEN PUNKT
- Im Kampf gegen den Klimawandel werden negative Emissionen gebraucht
- Baustoffe können einen wichtigen Beitrag leisten
- CO2-negative Produkte müssen der Atmosphäre nicht aktiv CO2 entziehen
Negative Emissionen gelten als unverzichtbar im Kampf gegen den Klimawandel. Der US-amerikanische Bodenbelagshersteller Interface, der seine Produkte auch in Europa vertreibt, bietet dazu erstmals eine Teppichfliesenserie an die CO2-negativ sein soll.
Manche Emissionen, besonders aus der Landwirtschaft und Industrieprozessen wie der Zementherstellung, lassen sich kaum vermeiden. Ein Teil dieser Emissionen entsteht an großen Punktquellen, wo das CO2 direkt aufgefangen und gespeichert werden kann (CCS = Carbon Capture and Storage). Da dieses CO2 nicht aus der Atmosphäre entnommen wird, spricht man hier nicht von negativen Emissionen
Vor allem Emissionen aus der Landwirtschaft stammen jedoch aus vielen kleinen, weit verteilten Quellen. Um Treibhausgasneutralität zu erreichen, müssen diese Emissionen durch das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre kompensiert werden. Zudem gelingt es oft nicht, die Emissionen aus der Strom- und Wärmeerzeugung sowie im Verkehrssektor schnell genug zu reduzieren. Es wird so viel CO2 ausgestoßen, dass das 1,5-Grad-Ziel verfehlt wird, wenn der CO2-Gehalt der Atmosphäre nicht nachträglich reduziert wird. Je schneller der Umstieg auf erneuerbare Energien und die Reduktion der Emissionen aus der Landnutzung gelingen, desto weniger negative Emissionen sind nötig.
Sind CO2-negative Bauprodukte überhaupt möglich?
Wie begründet Interface die Behauptung, seine Teppichfliesen seien CO2-negativ? Zunächst wird Kohlenstoff als fester Stoff von CO2 als Gas unterschieden, letzteres trägt als Treibhausgas zum Klimawandel bei. Wenn der Hersteller von CO2 als Gas spricht, meint er das gesamte globale Treibhauspotenzial, gemessen in Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten, da CO2 nicht das einzige Treibhausgas ist, das zur Erderwärmung beiträgt. Für diese Berechnungen wandelt Interface alle Arten von Treibhausgasen in CO2-Äquivalente um, basierend auf den Strahlungsantriebseffekten jedes CO2-Äquivalents über 100 Jahre.
Verbaute und operative Emissionen
Der CO2-Fußabdruck von Produkten umfasst zwei Phasen: verbaute Emissionen und operative Emissionen. Verbaute Emissionen sind die CO2-Emissionen, die während der Herstellung eines Produkts freigesetzt werden – von der Rohstoffbeschaffung über die Herstellung bis zum Verkauf. Operative Emissionen sind CO2-Emissionen, die nach dem Verkauf eines Produkts freigesetzt werden – von der Nutzung durch den Kunden bis zum Ende der Lebensdauer. Die operativen Emissionen im Bereich der Lebenszyklusanalyse schließen in der Regel die Entsorgung am Ende der Lebensdauer nicht ein. Interface sagt: „Der Einfachheit halber haben wir operative Emissionen um alles erweitert, was mit dem Produkt geschieht, nachdem es unser Werk verlassen hat.“
Lebenszyklusanalyse
Die verbauten Emissionen (Lebensphase eines Produkts, bis es die Tore seiner Produktionsstätte verlässt und zu seinen Verbrauchern transportiert wird) einiger Interface-Produkte sollen CO2-negativ sein und sind bereits erhältlich: „Wenn wir CO2-negativ sagen, meinen wir, dass die Emissionen des globalen Treibhauspotenzials netto negativ sind. Netto negativ bedeutet, dass mehr Treibhausgase der Atmosphäre entnommen, als bei der Herstellung des Produkts in die Atmosphäre abgegeben wurden.“
Wie oben erwähnt, werden verbaute Emissionen anhand einer Lebenszyklusanalyse gemessen. Die Lebenszyklusanalyse ist ein Tool zur Berechnung des globalen Treibhauspotenzials durch Messung von ökologischem Input und Output aller Aspekte der Produktherstellung, einschließlich der Rohstoffgewinnung wie Erdöl- und Mineralabbauprozesse, der Umwandlung von Rohstoffen in Chemikalien, des Transports von Materialien zu Fabriken, der Energieerzeugung und Emissionen bei der Herstellung des Produkts, Verpackung, Produktionsabfälle und deren Entsorgung.
Netto-CO2-Fußabdruck
Der ökologische Input und Output aller Treibhausgase, die von der Rohstoffgewinnung bis zum Verkauf anfallen, werden in CO2-Äquivalente umgewandelt und dann summiert, was zu einem Netto-CO2-Fußabdruck führt. Wenn der ökologische Input (Entziehen aus der Umwelt) von Treibhausgasen größer ist als der Output (Emissionen in die Umwelt), hat der Fußabdruck einen negativen Wert.
Dabei entziehen die CO2-negativen Produkte von Interface der Atmosphäre nicht aktiv Treibhausgase, der CO2-negative Wert ist der Saldo der Emissionen und des Abbaus von CO2 während der Herstellung des Produkts. Nach der Herstellung gibt der Bodenbelag innerhalb der Nutzungsphase kein CO2 mehr ab.
CO2-negative Materialien
Verbaute Emissionen, ob positiv oder negativ, sind nur ein Teil des Fußabdrucks. Für die vollständige Lebenszyklusanalyse kombiniert Interface verbaute und operative Emissionen. Auch wenn die verbauten Emissionen für einige Produkte negativ sind, weist der gesamte Lebenszyklus immer noch einen CO2-Fußabdruck auf. Um ihn zu kompensieren, erwirbt Interface Zertifikate aus geprüften Emissionsminderungsprojekten. Somit sind alle Bodenbeläge von Interface über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg CO2-neutral. CO2-negative Produkte hingegen sind von der Rohstoffgewinnung bis zum Verkauf CO2-negativ.
FAZIT
CO2-negative Baustoffe können ein bedeutender Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel sein. Sie zeigen, wie innovative Materialien zur Reduzierung von Treibhausgasen beitragen können. Wenn solche Technologien vermehrt eingesetzt werden, könnte dies die Emissionen im Gebäudesektor erheblich senken und einen wichtigen Schritt hin zu einer nachhaltigeren Bauindustrie darstellen.