Am Vorabend der Mobilitätsrevolution

Die Vision des selbstfahrenden Autos wird immer greifbarer. Doch bis die Vision Realität wird, gibt es noch viele Fragen zu klären.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo über autonomes Fahren berichtet wird. Ford, Audi, BMW, Toyota oder Daimler – fast alle namhaften Autohersteller haben angekündigt, autonome Fahrzeuge entwickeln zu wollen oder schon zu entwickeln. Hinzu kommen branchenfremde Unternehmen wie Apple, Google oder Tesla, die die Entwicklung vorantreiben und den Zukunftsmarkt aufrollen wollen. Die ersten autonomen Fahrzeuge werden sogar schon getestet, halbautonome Fahrzeuge, die etwa über einen Autopiloten, Tempomat oder andere Fahrerassistenzsysteme verfügen, sind längt im Einsatz. Der Traum vom selbstfahrenden Automobil, das der Mensch nicht steuern muss und in dem er seine Zeit nach eigenen Vorstellungen nutzen kann, rückt näher.

Automatisiertes Fahren
Bild: fotohansel – stock.adobe.com

„Derzeit befinden wir uns in der Phase, in der auf der Grundlage von Fahrerassistenzsystemen automatisierte Fahrfunktionen entstehen“, sagt Dr. Joachim Damasky, Geschäftsführer Technik und Umwelt des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Gemeint sind Systeme, die den Fahrer in schwierigen oder unterfordernden Situationen unterstützen oder ihn mit Signalen auf Gefahren hinweisen, zum Beispiel beim Stop-and-Go-Fahren, bei monotonen Autobahnfahrten mit Geschwindigkeitsbegrenzung oder beim Abstandhalten zum Vordermann und Spurwechseln. Bei diesen können Teile der Fahraufgabe vom System übernommen werden, so dass der Fahrer diesen Teil der Fahraufgabe nicht mehr überwachen muss. Kommt das System an seine Funktionsgrenzen, fordert es den Fahrer zur Übernahme der Fahrkontrolle auf. „Das autonome, also das fahrerlose Fahren, steht am Ende der Vision, da müssen wir uns noch etwas gedulden. Die Entwicklung dahin erfolgt Schritt für Schritt“, sagt Damasky. „Bis es fahrerlose Autos in Privatkundenhand gibt, wird es noch dauern.“

DIE VERKEHRSSICHERHEIT WIRD ZUNEHMEN

Welche Auswirkungen ein autonomer Verkehr auf die Mobilität haben wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur erahnen. Aber die Umwälzungen werden groß sein. Ziemlich sicher ist, dass die Sicherheit auf den Straßen deutlich zunehmen wird. Rund 90 Prozent der Verkehrsunfälle werden von Menschen verursacht. Die „Vision Zero“, also ein Straßenverkehr, der keine Toten und Schwerverletzten zu beklagen hat, wäre dank der Technik plötzlich denkbar. „Fahrzeuge mit automatisierten Fahrfunktionen erscheinen aus heutiger Sicht jedenfalls perspektivisch sicherer zu sein als Fahrzeuge mit einem menschlichen Fahrer“, ist Damasky überzeugt. Autonome Autos würden stets regelkonform und vorausschauend fahren. Außerdem seien sie deutlich weniger fehleranfällig als der Mensch, da sie nie müde würden oder abgelenkt seien. Zudem haben sie Sensoren und Informationen an Bord, die den Fahrer, auch wenn er selbst fährt, jederzeit unterstützen und helfen, in kritischen Situationen Unfälle zu verhindern. „All das erhöht die Verkehrssicherheit“, so Damasky.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) steht deshalb der neuen Technik sehr aufgeschlossen gegenüber. „Hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge sind für uns wichtige Hoffnungsträger“, erklärt Dr. Walter Eichendorf, Präsident des DVR, gegenüber Prävention aktuell. Manche Experten rechnen damit, dass schon 2020 die ersten autonomen Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs sein werden. Die Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers kommt in einer jüngst veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass in zehn Jahren auf langen Strecken keine Lkw-Fahrer mehr benötigt werden, da selbstfahrende Lastwagen zum Einsatz kämen.

Automatisiertes Fahren
Grafik: VDA

DAS MOBILITÄTSVERHALTEN WIRD SICH ÄNDERN

Aber auch dann wird es noch viele Jahre brauchen, bis der komplette Verkehr nur aus autonomen Fahrzeugen besteht. „Die durchschnittliche Lebensdauer von Pkw beträgt ungefähr 18 Jahre. Deshalb werden wir von den hochautomatisierten und autonomen Fahrzeugen profitieren, müssen aber noch länger mit dem ‚Mischverkehr‘ leben“, so Eichendorf weiter. Vielleicht wird es diesen sogar immer geben. „Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass das ‚menschliche‘ Fahren irgendwann verboten wird“, sagt Eichendorf. Es werde deshalb nötig sein, den autonomen Fahrzeugen beizubringen, wie Menschen Auto fahren und wie zum Beispiel deren Zeichen und Gesten zu verstehen seien. Gleichzeitig müssten Menschen verstehen lernen, wie die Algorithmen der autonomen Fahrzeuge funktionieren. „Eins ist klar: Der Computer wird sich an alle Vorgaben der Straßenverkehrsordnung, wie zum Beispiel Abstand oder Geschwindigkeiten, halten. Dem einen oder anderen menschlichen Fahrer wird dies nicht gefallen“, so Eichendorf.

Doch nicht nur die Verkehrssicherheit wird steigen, auch das Mobilitätsverhalten wird sich grundlegend ändern. So setzen die Automobilhersteller auch auf die wachsende Zahl von Senioren als mögliche Kundschaft. Diese könnten mit der Technik ihre nachlassenden sensorischen Fähigkeiten kompensieren. Auch Menschen ohne Führerschein oder die körperlich nicht der Lage sind, ein Auto zu steuern, könnten von autonomen Fahrzeugen profitieren.

CARSHARING ALS TÜRÖFFNER

Ein weiterer Profiteur des autonomen Fahrens dürften Carsharing-Firmen sein. So erwartet der Verkehrsexperte Michael Schramek, dass diese sofort umstellen werden, wenn autonome Autos die Marktreife erlangt hätten. „Sie würden damit ihr Angebot verbessern“, schreibt der Geschäftsführer der Mobilitätsberatung EcoLibro in einem Beitrag für die Zeitschrift DGUV Forum. Und weiter: „Fahrzeuge, die nicht mehr an festen Stationen stehen, sondern aktiv zur Kundschaft fahren, sind zum einen deutlich attraktiver und zum anderen durch eine höhere Auslastung wesentlich günstiger. Außerdem können die Carsharing-Firmen dann auch Kunden und Kundinnen gewinnen, die entweder altersbedingt oder wegen eines fehlenden Führerscheins bisher nicht erreicht wurden.“

Carsharing könnte also zum Türöffner werden, der dieser Technik zum Durchbruch verhilft. Diese These wird durch eine repräsentative Umfrage der Unternehmensberatung Detecon gestützt, die knapp 650 Bundesbürger zwischen 18 und 70 Jahren zur Akzeptanz des autonomen Fahrens befragte. So kann sich rund die Hälfte der Deutschen vorstellen, autonome Fahrzeuge zu nutzen, doch nur etwas mehr als ein Drittel würde ein autonomes Auto kaufen wollen. Allerdings können 67,5 Prozent der Befragten Deutschen sich vorstellen, die Alltagstauglichkeit autonomer Fahrzeuge im Rahmen von Carsharing-Angeboten zu testen, in der Altersklasse der 18- bis 29-Jährigen liegt dieser Wert sogar bei 78 Prozent. Ein Hemmschuh für die Akzeptanz ist das noch mangelnde Vertrauen in die technische Sicherheit der Fahrzeuge. Knapp zwei Drittel der Befragten halten das damit verbundene Risiko zu hoch, mehr als die Hälfte fürchtet Opfer eines Hacker-Angriffs zu werden. Die beiden jüngst bekanntgewordenen tödlichen Unfälle von Teslas mit Autopilotfunktion sind natürlich Wasser auf die Mühlen der Skeptiker – auch wenn es sich dabei genaugenommen um keine autonomen Fahrzeuge gehandelt hat. Doch Damasky ist sich sicher, dass mit der schrittweisen Entwicklung hin zum autonomen Fahren auch die Akzeptanz zunehmen wird.

Eichendorf rechnet damit, dass im nächsten Jahr die ersten Autos angeboten werden. Diese werden zunächst auf Autobahnen fahren, da dort die Verkehrssituationen nicht so komplex wie auf Landstraßen oder in Städten seien und deshalb von den Fahrzeugsensoren gut erfasst werden könnten. „Die Beherrschung der vielfältigen möglichen Verkehrssituationen im Stadtverkehr braucht noch Zeit, auch wenn in begrenzten innerstädtischen Räumen wie in Singapur 2017 die ersten Robotaxen im Regelverkehr erwartet werden“, erklärt Eichendorf.

RECHTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN MÜSSEN STIMMEN

Als größter Hemmschuh für die Entwicklung hin zum autonomen Verkehr sehen Eichendorf und Damasky zurzeit die rechtlichen Rahmenbedingungen, die an die technische Entwicklung angepasst werden müssen. „Es muss genau definiert werden, was Fahrzeuge in welcher Stufe der Automation können müssen und wie dann die Verantwortlichkeiten zwischen Hersteller, Halter und Fahrer verteilt sind“, fordert Eichendorf. Und Damasky ergänzt: „Entscheidend ist dabei eine gesetzliche Klarstellung, dass das Einschalten einer automatisierten Fahrfunktion an sich keinen Fahrlässigkeitsvorwurf nach sich zieht. In diesem Zusammenhang sollte auch eine gesetzliche Einführung eines Datenspeichers für das automatisierte Fahren auf den Weg gebracht werden.“

Einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes hat das Bundesverkehrsministerium Ende September vorgelegt. Doch es ist fraglich, ob damit wirklich alle offenen Fragen geklärt werden. Alleine die Frage nach dem Datenschutz könnte zu vielen Diskussionen führen, kollidieren hier doch zwei Grundprinzipien: die Datensparsamkeit und die Notwendigkeit Daten zu sammeln. Denn neben Unmengen technischer Daten fallen auch Bewegungsdaten an – also wer wann wohin fährt –, die mit der Zeit ein umfassendes Bewegungsprofil ergeben können. Gleichzeitig braucht das System aber so viele Daten wie möglich, um möglichst sicher zu funktionieren. Zwischen diesen beiden Gegenpolen einen vernünftigen Mittelweg zu finden, der beiden Prinzipien Rechnung trägt, wird eine Herkulesaufgabe.

ETHISCHE FRAGEN

Und schließlich wird das autonome Fahren Gesellschaft und Politik vor eine ethische Frage stellen: Wie soll das System entscheiden, wann ein Unfall mit Personenschaden unausweichlich ist? Wenn zum Beispiel die Optionen darin bestehen, entweder ein Kind zu überfahren, das auf die Straße gesprungen ist, oder das Fahrzeug in den dichten Gegenverkehr zu lenken und somit vielleicht deutlich mehr Personen zu verletzen oder zu töten, am Ende sogar die Insassen des autonomen Fahrzeugs? Und wer legt diese Entscheidung schließlich fest? Der Gesetzgeber, der Hersteller, der Programmierer oder der Nutzer vor seiner ersten Fahrt? Oder werden die Systeme demnächst schon so leistungsstark und so schnell sein, alle entscheidungsrelevanten Komponenten in einem Sekundenbruchteil auswerten zu können, um dann selbstständig eine Entscheidung zu treffen? Und wenn dies möglich sein sollte, soll wirklich einem Computer diese Entscheidung übertragen werden? Noch gibt es keine Antworten auf diese Fragen. Eine von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ins Leben gerufene Ethikkommission soll Abhilfe schaffen. Es wird keine einfache Entscheidungsfindung werden.

Ein Artikel von
Falk Sinß

6. Oktober 2016

Kategorie

Wissen