Benötigt werden smarte Schutzsysteme
MASCHINENSICHERHEIT
In den Smart Factories der Zukunft werden sichere Maschinen alleine nicht ausreichen, um Gesundheitsgefährdungen auszuschließen. Auch die Netzwerkverbindungen müssen geschützt sein, um Angriffe von außen zu vermeiden.
Bislang war Maschinensicherheit eine klare Sache. Maschinen müssen so beschaffen sein, dass grundlegende Sicherheitsaspekte schon in die Konstruktion und den Bau einbezogen werden. Gefährdungen für das Bedienungspersonal, nicht nur beim Betrieb, sondern auch bei der Installation, der Wartung oder der abschließenden Verschrottung, sollen so reduziert und ausgeschlossen werden. Doch mit dem Wandel der Arbeit und der Technik ändern sich auch der Sicherheitsbegriff und die Anforderungen an den Arbeitsschutz.
„Neue Technologien beinhalten in der Regel auch neue Gefährdungen oder bekannte Gefährdungen in neuem Gewand“, sagt Dr. Karl Wickert, Leiter der DGUV Test Prüf- und Zertifizierungsstelle Nahrungsmittel und Verpackung im Fachbereich Nahrungsmittel. Außerdem wird das Arbeiten in der Industrie 4.0 anders sein als heute“. Verstärkte Gefährdungen sieht Wickert vor allem durch die Zunahme der Komplexität der Arbeitsprozesse, die für die Bedienenden im selben Maße intransparenter werden.
Denn ein Kernelement der Industrie 4.0 wird die sich selbst organisierende Produktion sein, damit Unternehmen flexibler und individueller auf Kundenanforderungen reagieren können. In der Produktion der Industrie 4.0 werden die Maschinen über eine Vielzahl von Sensoren verfügen, die Produktionsparameter erfassen und übermitteln. Diese werden zudem mit kaufmännischen Daten verknüpft. Dazu werden sich Maschinen selbstständig und auftragsbezogen konfigurieren. Die Abläufe einer Produktionseinheit werden dadurch für die Bedienenden deutlich weniger vorhersehbar sein als das heute der Fall ist, erklärt Wickert. Das Überraschungsmoment nimmt zu. „Das Risiko für psychische Belastungen kann dadurch steigen.“ Die Gefahr körperlicher Schäden ebenso.
Ein weiteres Schlagwort, das im Zusammenhang mit Industrie 4.0 immer wieder fällt, ist Big Data. Die selbst organisierende Produktion funktioniert nur mit einem deutlich höheren Vernetzungsgrad der Maschinen und Fabriken, wodurch große Datenmengen entstehen. Gleichzeitig nimmt durch die Vernetzung die Komplexität der Verbindungen zu und damit auch die Manipulationsmöglichkeiten.
SECURITY AND SAFETY
Schon heute werden Steuerungssysteme von Eisenbahnen, Stromversorgungssystemen oder Industrieanlagen von Hackern angegriffen. Aufgrund der großen Datenmengen, die in der Industrie 4.0 angesammelt werden, sind die Smart Factories ein lohnendes Ziel. Der Begriff der Maschinensicherheit muss also erweitert werden. „Neben der Sicherheit in Form von ,Safety‘ wird die ,Security‘ eine wichtige Rolle spielen“, sagt Wickert. „Es geht dabei um die Gefährdung der Daten durch unberechtigten Zugriff.“ Das Risiko bestehe darin, dass die mögliche Manipulation der Daten auch die Prozesse und Schutzfunktionen gefährden kann. „Bisher spielte dieser Aspekt in der Arbeitssicherheit kaum eine Rolle“, erklärt Wickert weiter. Das heißt, der Schutz der Netzwerkverbindungen wird künftig ein Bestandteil der Maschinensicherheit sein. „Dieser Herausforderung werden sich die Berufsgenossenschaften und ihre fachlich zugeordneten Prüf- und Zertifizierungsstellen stellen müssen“, so Wickert. „In unserem Workshop, den unsere Prüf- und Zertifizierungsstelle voriges Jahr abgehalten hat, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass eine personelle Erweiterung um Spezialisten auf diesem Gebiet erforderlich ist.“
Der Einsatz neuer Technologie bringt neben diesen Risiken auch Chancen für den Arbeitsschutz mit sich, wie Wickert ausführt. „In der heutigen Industrie 3.0 sind Störungen im Produktionsablauf eher häufig. Voraussetzung für eine sich selbst organisierende Produktion ist aber die möglichste Vermeidung von Störungen.“ Sowohl die Maschinenkonstruktion als auch die Selbstorganisation würden dazu genutzt, potenzielle Störungen vorzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. „Die Produktionseinheiten werden zukünftig den Service selbst anfordern. Dadurch wird die Zahl der menschlichen Eingriffe und damit auch das Unfallrisiko reduziert“, sagt Wickert.
NEUE SCHUTZSYSTEME WERDEN BENÖTIGT
Außerdem gibt er zu bedenken, dass viele der heute gängigen Schutzmaßnahmen nur begrenzt auf die Industrie 4.0 übertragen werden können. „Ich gehe davon aus, dass die Smart Factory auch smarte Schutzsysteme benötigt. Das muss jedoch kein Nachteil sein. Wahrscheinlich wird die Arbeitssicherheit dadurch sogar verbessert.“ Als Beispiel nennt er die Datenbrille, die schon heute mancherorts im Einsatz ist. Sie könne ein unverzichtbares Werkzeug für die Maschinenbedienung in der Industrie 4.0 werden, wenn die Datenbrille selbst zum Teil des Produktionsprozesses wird. Die Produktionsprozesse werden dann im nötigen Abstand um die Bedienenden herumgeleitet. „Das heißt die gefahrbringenden Situationen im direkten Umfeld der bedienenden Person werden solange sicher unterbunden bis sie den Bereich verlassen hat.“ Über die Datenbrille könne die Person zudem unmittelbar vor drohenden Risiken gewarnt werden. „Die Verwendung von klassischen trennenden Schutzeinrichtungen kann entbehrlich werden“, beschreibt Wickert seine Vision.
Auch wenn immer noch nicht klar sei, wie die Industrie 4.0 letztendlich aussehen werde, steht für Wickert fest, dass die gesetzliche Unfallversicherung in diesem Kontext eine wichtige Rolle übernehmen wird: „Unsere Prüf- und Zertifizierungsstelle wird eine zentrale Aufgabe bei der Begleitung der Hersteller in Bezug auf die sicherheits- und menschengerechte Gestaltung von Industrie 4.0 haben.“ Die gesetzliche Unfallversicherung hat sich seit jeher den sich verändernden Anforderungen in der Arbeitswelt angenommen. Neben intensiver Präventionsforschung erfordern diese Entwicklungen verstärkte Anstrengungen zur Qualifizierung, aber auch die gesamtgesellschaftliche Entwicklung einer Kultur der Prävention, die Sicherheit und Gesundheit zu einem selbstverständlichen Teil des Handelns der Menschen macht.