Ein gigantischer Haufen Metall

Wer auf einem Schrottplatz für die Sicherheit zuständig ist, hat harte Gegner. 3000 PS-starke Maschinen schreddern ein Auto in drei Minuten klein oder schneiden mit der Kraft von 1.250 Tonnen durch Eisenbahn-Drehgestelle aus massivem Stahl wie eine Schere durch Papier. Dazwischen türmen Bagger riesige Metallteile zu Bergen von Schrott. Bedrohlich wirkt das alles. Steffen Koschnicke steht mitten auf dem Platz und sieht fast ein wenig verloren aus.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Platzmeister und Sicherheitsbeauftragter: Steffen Koschnicke liebt seine Arbeit. Foto: Michael Stephan

Er ist einer von sechs Sicherheitsbeauftragten bei Scholz Recycling und achtet darauf, dass es zwischen den metallenen Ungetümen so sicher wie möglich zugeht. Koschnikes eigentlicher Beruf ist Platzmeister. So steht es auch auf seiner Visitenkarte und selten war eine Berufsbezeichnung passender. Mehr als 100 Mitarbeiter, ein Platz so groß wie 47 Fußballfelder – Koschnicke hat alles Griff. „Ich kenne hier jedes Steinchen“, sagt er.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Als Sicherheitsbeauftragter braucht Koschnicke eine gewisse Durchsetzungskraft, gleichzeitig muss er den richtigen Ton treffen. Ihm fällt das nicht schwer. Foto: Michael Stephan

Einer der größten Schrottplätze Deutschlands

Scholz Recycling betreibt in Espenhain bei Leipzig einen der größten Schrottplätze Deutschlands. Hier werden bis zu 1.500 Tonnen Material pro Tag recycelt, von der Cola-Dose bis zum Tagebaugroßgerät. Gerade wartet ein ausrangierter ICE darauf, verschrottet zu werden. Die Materialien werden auf dem Platz getrennt und das Eisen zur Wiederverwendung an Stahlwerke geliefert.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Wer auf einem Schrottplatz für die Sicherheit ist, hat harte Gegner. Foto: Michael Stephan

Als Platzmeister ist Koschnike für den reibungslosen Ablauf zuständig: Dass alle in die passenden Schichten eingeteilt sind, dass die Lkw-Fahrer wissen, wo sie hin müssen, dass die Eisenbahnwaggons richtig beladen werden, dass die richtigen Lieferungen raus an die Stahlwerke gehen. Doch als Sicherheitsbeauftragter hat der 53-Jährige noch eine zusätzliche Aufgabe: das Risiko für Unfälle und Verletzungen bei der Arbeit klein halten. Es fängt damit an, darauf zu achten, dass jeder auf dem Platz die vorgeschriebene Persönliche Schutzausrüstung trägt. Bei Scholz Recycling gehören dazu Schutzhelm, Warnweste, Sicherheitsschuhe, Handschuhe und Gehörschutz. Koschnicke achtet außerdem auf die ordnungsgemäße Nutzung von technischen Geräten, meldet  den Vorgesetzen Mängel und macht auf Arbeits- und Gesundheitsgefahren aufmerksam.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Tragen die Mitarbeiter die vorgeschriebene Schutzausrüstung? Auch darauf achtet der Sicherheitsbeauftragte. Foto: Michael Stephan

„Ich bestehe immer darauf, dass die beseitigt werden, bevor wir weiterarbeiten“, sagt Koschnicke. „Da bin ich hart.“ Einmal sei zum Beispiel eine Ladung Blech per Lkw gekommen, von der der Fahrer erzählte, sie sei wegen Quecksilberanteilen unter Vollschutz verladen worden. Das machte Koschnicke stutzig. „Da habe ich gesagt, wir fassen das nicht eher an, bevor ich den Nachweis habe, dass es unbedenklich ist.“ Ein gewisses Durchsetzungsvermögen braucht er in seinem Amt, denn wie alle Sicherheitsbeauftragten hat Koschnicke keine Weisungsbefugnis gegenüber den Kollegen. Im Gegenzug trägt er als Sicherheitsbeauftragter keine zivil- oder strafrechtliche Verantwortung.

Sechs Sicherheitsbeauftragte sind zuständig

Auf dem Platz werde nichts dem Zufall überlassen. Nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch sind Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten verpflichtet, mindestens einen Sicherheitsbeauftragten zu benennen. Bei Scholz Recycling arbeiten neben Koschnicke noch fünf weitere Sicherheitsbeauftragte, die jeweils für einen bestimmten Bereich zuständig sind, zum Beispiel für die Werkstatt, den Vertikalshredder oder den Fuhrpark. Außerdem gibt es eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, die regelmäßig die verschiedenen Betriebe der Scholz-Gruppe begeht und unter anderem für die Unterweisungen und die Gefährdungsbeurteilung zuständig ist. Viermal im Jahr kommen sie alle zusammen in einer Sitzung des Arbeitsschutzausschusses. Gemeinsam mit dem Betriebsleiter, dem Betriebsarzt und Vertretern des Betriebsrats tauschen sie sich hier über Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes aus.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Koschnicke ist einer von sechs Sicherheitsbeauftragten der Scholz Recycling GmbH. In den Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses tauschen sie sich regelmäßig über anstehende Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes aus. Foto: Michael Stephan

Was die Sicherheitsbeauftragten zu berichten haben, ist wichtig, denn sie sind nah dran an den Kollegen, der täglichen Arbeit auf dem Schrottplatz – und damit auch möglichen Gefahrenquellen. Koschnicke ist eine Art Bindeglied zwischen den Kollegen und den Vorgesetzen: Zum einen trägt er eventuelle Probleme auf dem Platz an die zuständigen Stellen heran. Zum anderen gibt er den Regeln des Arbeitsschutzes ein Gesicht auf dem Platz. „Das ist manchmal ein Balanceakt“, sagt Koschnicke. Doch dem gemütlichen Typ mit herzlichem Lachen fällt es nicht schwer, immer den richtigen Ton zu treffen. Selbst wenn er seine Kollegen zum x-ten Mal ermahnt, doch bitte den Gehörschutz zu tragen.

Von Anfang dabei, aber kein altes Eisen

Vielleicht liegt das auch daran, weil er ein Urgestein auf dem Schrottplatz ist. Der gelernte Elektriker fing nur wenige Wochen nach Eröffnung dort an. „Am 24. Juni 1991 war mein erster Tag, das Datum habe ich genau im Kopf“, sagt Koschnicke. Nur eine Handvoll Leute waren sie damals. Mit dem Brennschneider Schrott zerlegen, Buntmetall sortieren, Lkw fahren – Koschnicke hat verschiedenen Stationen durch. Die erste Schrottschere, die auch große Stahlteile mühelos zerkleinert, hat er mit aufgebaut und bedient. Koschnicke kennt sich aus wie kein anderer auf dem Platz. Das verschafft Respekt. „Ich habe alles mal gemacht“, sagt er. „Die Kollegen wissen, dass ich weiß, wovon ich spreche. Das ist viel wert.“

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Damit er auf dem riesigen Platz schneller von A nach B kommt, ist er meist mit dem Fahrrad unterwegs. Auf dem Gepäckträger hat sich Koschnicke ein mobiles Büro eingerichtet, damit er die wichtigsten Unterlagen immer dabei hat. Foto: Michael Stephan

Seit 2004 ist Koschnicke Platzmeister, eine verantwortungsvolle Aufgabe. Überall muss er ein Auge drauf haben, ständig klingelt sein Diensttelefon. Damit er auf dem riesigen Platz schneller von A nach B kommt, ist er meist mit dem Fahrrad unterwegs. Auf dem Gepäckträger hat er einen Aktenkoffer festgeschnallt. „Mein Büro“, sagt er und lacht. Darin hat Koschnicke die wichtigsten Formulare – Schichtpläne, Urlaubsscheine, Beladungsliste für die Waggons ­– und immer ein paar Arbeitshandschuhe, falls er mit anpacken muss.

Dass er bei seinen ganzen Aufgaben auch noch auf die Sicherheit der Leute achtgeben soll, stört ihn nicht, sagt Koschnicke. „Ich empfinde das nicht als Mehrarbeit.“ Er müsse eh alles im Blick haben und täglich mit den Kollegen umgehen. Die Position des Sicherheitsbeauftragten hat Koschnicke bereits seit dem Jahr 2000 inne. Eine einwöchige Schulung bei der Berufsgenossenschaft hat ihn auf den Posten vorbereitet.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Als Platzmeister sorgt Koschnicke für den reibungslosen Ablauf auf dem Platz – und dafür, dass die Beschäftigten wissen, was sie zu tun haben. Foto: Michael Stephan

Ein Ehrenamt, das Spaß macht

Er könnte das Ehrenamt jederzeit niederlegen, aber Koschnicke denkt nicht daran. Er mag, dass er als Sicherheitsbeauftragter den Arbeitsschutz mitgestalten kann und so dazu beiträgt, die Arbeit für sich und die Kollegen besser zu machen. Seit einiger Zeit macht ihnen zum Beispiel die Beladung von Seecontainern Sorgen. Das ist eine kompliziert Angelegenheit: Sie werden dazu aufgestellt. Der Baggerfahrer sieht nicht richtig, was er macht und auch das Schließen und Öffnen in dieser Höhe ist ein Problem. Im Frühjahr habe es einen schweren Unfall gegeben, erzählt Koschnicke. Ein Mitarbeiter einer Spedition habe eine Stange der Verriegelung gegen den Kopf bekommen und ein Auge verloren.

Das Thema hat Koschnicke dann direkt bei einer Fortbildung angesprochen, die er als Sicherheitsbeauftragter regelmäßig besucht. „Ich schätze diesen Austausch mit den Kollegen sehr“, sagt er. So hat er erfahren, dass die Kollegen gute Erfahrungen mit ausfahrbaren Arbeitsbühnen gemacht haben, um besser an die Container heranzukommen. Koschnicke hat dafür gesorgt, dass es in Espenhain nun auch eine gibt.

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Die Arbeit auf dem Schrottplatz kann riskant sein. Foto: Michael Stephan

Woran viele nicht denken: Die Gefahr geht auch vom Müll selbst aus. Neulich erst habe eine Granate aus Messing auf dem Schrotthaufen gelegen. Koschnicke ließ alles absperren und rief den Kampfmittelräumdienst. Am Ende stellte sich heraus, dass es eine entschärfte Übungshandgranate war. „Sprengkörper im Schrott sind für uns die größte Gefahr“, sagt Koschnicke. Zweimal im Jahr wird das Thema bei der Unterweisung behandelt. Die Mitarbeiter sollen sie erkennen können.

Infografik Scholz Holding in Zahlen
Grafik: Liebchen + Liebchen/Universum Verlag

100 Prozent Kontrolle gibt es nicht

Ein Restrisiko bleibt trotzdem immer. Beim Rundgang über den Platz stiebt plötzlich eine dunkle Wolke zwischen den Schrottteilen einer Lkw-Ladung in die Luft. „Schleifstaub“, sagt Koschnicke und schüttelt den Kopf. „Eine Gefährdung für Umwelt und Menschen. So etwas sollte nicht sein.“ Ein Kunde hat ihn offenbar unter den Schrott gemischt. Diese Ladung wird Koschnicke reklamieren und in Rechnung stellen. „Aber abstellen können wir so etwas nie ganz“, sagt er.

Einhundert Prozent Kontrolle gibt es nicht. Auch nicht einhundert Prozent Sicherheit. „Das ist wie überall im Leben“, sagt Koschnicke. „Aber man kann versuchen, sich so weit wie möglich anzunähern.“

Arbeitssicherheit auf dem Schrottplatz
Koschnicke hat eine verantwortungsvolle Aufgabe. Überall muss er ein Auge drauf haben, ständig klingelt sein Diensttelefon. Foto: Michael Stephan

Koschnicke ist stolz, dass es auf seinem Platz so geordnet zugeht. Ein bis zwei Unfälle im Jahr gibt es trotzdem. Die werden auf der gemeinsamen ASA-Sitzung ausgewertet und besprochen, wie man sie in Zukunft am besten verhindern kann. „Wenn ich über den Platz gehe, habe ich immer die Gefährdungsbeurteilung im Kopf.“ 

Text: Katrin Wilkens

 

Ein Artikel von
Redaktion Prävention aktuell

1. Juni 2021

Kategorie

Wissen