Eintauchen ins virtuelle Büro

Virtual Reality (VR) geht längst über den Bereich der Video- und Online-Spiele hinaus. Auch der Arbeitsschutz hat die Möglichkeiten entdeckt. Jetzt gibt es für Bildschirmarbeitsplätze als Neuentwicklung im deutschsprachigen Raum einen „VR Office-Trainer“.

Text: Holger Schmidt (Redaktion)

Mit virtueller Realität die echte Welt zu einem sichereren Ort machen – in manchen Branchen ist es nicht mehr ungewöhnlich, sich mithilfe von VR-Brillen auf den Einsatz vorzubereiten. Beispielsweise üben Ärzte chirurgische Eingriffe oder Beschäftigte in Fabriken den Umgang mit Gefahrstoffen, indem sie in die virtuelle Realität eintauchen – ohne sich selbst oder andere zu gefährden.

Im Büro gibt es weniger Risiken. Auf den ersten Blick zumindest. „40 Jahre falsch am Schreibtisch zu sitzen, ist letztlich auch ziemlich gefährlich“, bringt es Jens Epe auf den Punkt, Mitgründer und technischer Geschäftsführer des Unternehmens World of VR. Ausfallzeiten aufgrund von Rückenbeschwerden und Muskel-Skelett-Erkrankungen zeugen davon. Aber wieso kann eine Unterweisung mit VR-Brille helfen? „Weil die Menschen viermal fokussierter sind, viermal schneller lernen und fast viermal so sehr emotional mit dem Thema verbunden sind, als wenn sie frontal – sozusagen im Klassenraum – unterwiesen werden“, ist die Antwort von Epe.

Damit verweist er auf eine Umfrage. Der Wirtschaftsprüfungsverbund PricewaterhouseCoopers International (PwC) hat darin festgestellt: Was im „Frontalunterricht“ zwei Stunden dauert, lässt sich demnach über E-Learning in 45 Minuten und mit dem Einsatz von VR sogar in einer knappen halben Stunde lernen. Hinzu kommt: „Was ich nur höre, habe ich eigentlich sofort wieder vergessen. Was ich selbst mache, bleibt viel besser hängen“, fasst es Epe zusammen. World of VR hat deshalb zusammen mit dem Arbeitsschutz-Dienstleister BAD GmbH den „VR Office-Trainer“ entwickelt.

Neuer Zugang zum Thema dank VR-Brille

Die langfristige und nachhaltige Umsetzung in Büros und Homeoffices ist das Ziel. Also: Schluss mit reinen „PowerPoint-Frontalpräsentationen“, wie es BAD-Projektleiter Martin Stiemer nennt. „Es geht darum, einen anderen Zugang zu dem wichtigen Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz zu ermöglichen“, sagt der Organisationspsychologe.

Dieser andere Zugang funktioniert so: hinsetzen, VR-Brille aufsetzen und eintauchen in die virtuelle Bürowelt und die Ergonomie am Schreibtischarbeitsplatz. Nach einem Tutorial, in dem die Nutzer die Steuerung kennenlernen, können sie zwischen Einzel-, Zweier- und Gruppenbüro wählen. Dann gibt es Informationen beispielsweise zur richtigen Anordnung bei der Nutzung von zwei Monitoren, zur Ergonomie des Bürostuhls oder zur richtigen Platzierung des Schreibtisches. Ähnlich, wie man es von Online-Unterweisungen kennt – nur fühlt man sich eben direkt am Schreibtisch und kann etwa die beiden Monitore schnell und einfach auf verschiedene Weisen anordnen oder den Schreibtisch verschieben. Ausprobieren. Spielen. „Mit diesem Gamification-Ansatz kann man auch Themen erlebbar machen, die vielleicht sonst als etwas trocken wahrgenommen werden“, sagt Stiemer. Noch dazu können Unternehmen mit dem „VR Office-Trainer“ ihre Mitarbeiter rechtssicher unterweisen und ein Zertifikat ausstellen lassen.

Fachlich korrekt und leicht bedienbar

In der Entwicklung gab es zwei große Herausforderungen zu meistern, bei der beide Unternehmen ihre Stärken ausspielen konnten. BAD stellte sicher, dass relevante Lerninhalte zu Büro- und Bildschirmarbeitsplätzen erfasst und dargestellt sind. World of VR brachte die jahrelange Erfahrung aus der Entwicklung ein. „Die VR-Anwendung sollte möglichst einfach sein, aber trotzdem noch genug Freiräume bieten und Interaktion zulassen“, erklärt Epe und veranschaulicht: „Sonst gehen der spielerische Aspekt und damit die Motivation verloren. Am Ende wäre man dann fast wieder bei einer webbasierten Anwendung oder gar einem Film.“

Das Ergebnis der Zusammenarbeit stellte die BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH im Oktober 2023 bei der Arbeitsschutzmesse A+A der Öffentlichkeit vor. Zielgruppe sind alle Unternehmen mit Büroarbeitsplätzen. Die Berater besuchen die Kunden dann mit dem „VR Office-Trainer“ mit fünf Brillen zur gleichzeitigen Nutzung im Gepäck. Außerdem mit einem Tablet. „Damit kann ich mich auf die VR-Brillen schalten und sehen, was die Nutzer sehen. So kann ich ihnen direkt behilflich sein“, sagt Martin Stiemer.

Ein BAD-Berater kann in etwa drei Stunden – so lang ist auch die Mindestlaufzeit einer VR-Brille, bevor sie wieder aufgeladen werden muss – 15 bis 20 Beschäftigte schulen. „Die breite Masse braucht nur ein paar Erläuterungen, um sich mit VR vertraut zu machen“, ist Stiemers Erfahrung. Zehn Prozent würden Virtual Reality ohnehin schon kennen, etwa aus dem Gaming-Bereich.

Zum Produkt gehöre, dass sowohl die VR-Brille als auch die Software – etwa hinsichtlich der Bildwiederholfrequenz – auf dem neuesten Stand der Technik seien. Das Thema „Motion Sickness“, also die Übelkeit bei Nutzung von VR, trete auch dadurch beim Office-Trainer nicht auf, versichert Stiemer: „Wir haben frühzeitig alles getan, um das zu vermeiden.“ Sollte es aber partout nicht funktionieren mit einem Beschäftigten und VR, können die BAD-Berater die Unterweisung immer auch auf konventionelle Weise durchführen. „Der ‚VR Office-Trainer‘ ist ein interessantes, innovatives Zusatzangebot, das wir Unternehmen machen möchten“, fasst Martin Stiemer zusammen.

Brandschutz ist das nächste Projekt

Perspektivisch soll der Office-Trainer noch weiterentwickelt werden. Als Nächstes wird er auf Englisch bereitgestellt und irgendwann könnte es mithilfe von KI etwa denkbar sein, die virtuelle Büroumgebung individuell dem jeweiligen Auftraggeber anzupassen, so Stiemer. Aber auch weitere VR-Anwendungen sind bei BAD in Planung, beispielsweise zum Brandschutz. „Mit Multisensorik können bei virtuellen Löschübungen sehr interessante Effekte wie Hitze und Rauch simuliert werden“, erklärt Stiemer.

FAZIT:

Virtual Reality bietet spannende und nützliche Ansätze für den Arbeitsschutz. Die Entwicklungen stehen in vielen Bereichen aber erst am Anfang und bergen noch eine Menge weiterer Potenziale.