„Hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge sind für uns wichtige Hoffnungsträger”

Das autonome Fahren verspricht nicht nur mehr Komfort für Fahrerinnen und Fahrer, sondern auch mehr Verkehrssicherheit. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) baut deshalb auf diese neue Technologie, wie dessen Präsident, Dr. Walter Eichendorf, im Interview erklärt.

Wie sieht der Verkehr der Zukunft aus? Welche Rolle werden selbstfahrende Autos darin spielen? Oder werden wir gar keine selbstfahrenden Autos, sondern nur halbautomatische Autos erleben?

Uns ist es wichtig, dass das Ziel der „Vision Zero“, keine Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr, erreicht wird. Dabei werden im Laufe der nächsten Jahre die Autos mit Fahrerassistenzsystemen, die hochautomatisierten und natürlich erst recht die autonom fahrenden Fahrzeuge eine zunehmende Bedeutung haben. Die durchschnittliche Lebensdauer von Pkw beträgt allerdings ungefähr 18 Jahre. Deshalb werden wir von den hochautomatisieren und autonomen Fahrzeugen profitieren, müssen aber noch länger mit dem „Mischverkehr“ leben. Ich will aber ausdrücklich betonen, dass jeder, der ein solches Auto fährt, sofort alle Sicherheitsvorteile genießt.

Experten gehen davon aus, dass es künftig mehr Carsharing geben wird, besonders wenn sich Autos irgendwann autonom fortbewegen werden. Teilen Sie diese Ansicht?

Das Carsharing-Angebot hat in den letzten Jahren immens zugenommen und wird weiter wachsen. Damit werden Pkw künftig nicht mehr eine halbe Stunde, sondern etliche Stunden pro Tag genutzt werden – und damit weniger Fahrzeuge benötigt. Für die technisch aufwändigen und sicher auch wartungsintensiveren hochautomatisierten und autonomen Fahrzeuge ist Carsharing ideal, da sie professionell betreut und regelmäßig aktualisiert werden.

Zwei Punkte, die entscheidend für den Erfolg selbstfahrender Autos sein werden, sind Safety und Security. Gerade letzteres zu erreichen stelle ich mir schwierig vor. Absolute Sicherheit wird es auch im Verkehr der Zukunft nicht geben. Oder sehen Sie das optimistischer?

Die absolute Sicherheit wird es auch in Zukunft nicht geben, aber wir dürfen nie aufhören, sie erreichen zu wollen. Hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge werden mehr Elektronik und Software besitzen und es wird deshalb sicherlich neue Gefährdungsquellen geben, die wir heute noch nicht absehen. Mit unserer Forderung, dass autonome Fahrzeuge sicherer fahren müssen als ein durchschnittlicher Mensch und diese Forderung auch regelmäßig überprüft werden muss, haben wir jedoch ein Regulativ eingebaut. Sollte der Erfolg ausbleiben, werden wir kräftig intervenieren. Das widerspräche aber allen unseren Erfahrungen. Was die Security, also die Sicherheit zum Beispiel vor Hackern, angeht, so glauben wir, dass das die Industrie – wenn auch mit großen Anstrengungen – in den Griff bekommen wird.

Woran hakt das autonome Fahren noch?

Im nächsten Jahr werden wohl die ersten Autos angeboten, die hochautomatisiert auf Autobahnen fahren. Der Fahrer oder die Fahrerin muss dann immer noch bereit sein, in einer gewissen Zeit nach der Aufforderung die Fahraufgaben selbst zu übernehmen. In einem bestimmten Rahmen darf sie oder er sich dann aber auch anderen Aufgaben widmen. Autobahnsituationen sind – gemessen an der Vielfalt auf Landstraßen oder in Städten – allerdings leichter zu beherrschen. Die Beherrschung der vielfältigen möglichen Verkehrssituationen im Stadtverkehr braucht noch Zeit, auch wenn in begrenzten innerstädtischen Räumen wie Singapur 2017 die ersten Robottaxen im Regelverkehr erwartet werden.

Neben diesen technischen Herausforderungen gibt es noch die rechtlichen. Es muss genau definiert werden, was Fahrzeuge in welcher Stufe der Automation können müssen und wie dann die Verantwortlichkeiten zwischen Hersteller, Halter und Fahrer verteilt sind.

Dr. Walter Eichendorf
Dr. Walter Eichendorf, Präsident des DVR. Foto: DGUV/Wolfgang Bellwinkel

Was schätzen Sie, bis wann werden die ersten selbstfahrenden Autos ganz selbstverständlich im Straßenverkehr unterwegs sein?

Wirklich autonome Fahrzeuge dürfen wir auf Autobahnen spätestens ab 2020 erwarten. Robottaxen auf bestimmten Strecken oder in bestimmten Gebieten werden noch früher kommen. Die Voraussetzung ist jedoch, dass bis dahin die rechtlichen Hürden genommen werden. Die USA und Singapur sind dabei weit fortgeschritten.

Vor allem in der Übergangsphase vom heutigen menschengesteuerten Verkehr zum autonomen Verkehr könnte ich mir vorstellen, dass es viele Unfälle zwischen selbstfahrenden Autos und von Menschen gesteuerten Autos geben wird, da Menschen sich nicht immer rational verhalten. Wie lässt sich diese Übergangsphase optimal gestalten?

Mischverkehr zwischen von Menschen und von Computern gelenkten Fahrzeugen wird es noch lange geben. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass das „menschliche“ Fahren irgendwann verboten wird. Es wird deshalb nötig sein, den autonomen Fahrzeugen beizubringen, wie Menschen Auto fahren und wie zum Beispiel deren Zeichen und Gesten zu verstehen sind. Gleichzeitig müssen die Menschen verstehen, wie die Algorithmen der autonomen Fahrzeuge funktionieren. Eins ist klar: Der Computer wird sich an alle Vorgaben der Straßenverkehrsordnung (StVO), wie zum Beispiel Abstand oder Geschwindigkeiten, halten. Dem einen oder anderen menschlichen Fahrer wird dies nicht gefallen.

Rund 90 Prozent der Verkehrsunfälle sind menschengemacht. Der DVR müsste der neuen Technologie sehr aufgeschlossen gegenüber stehen, da sie einen großen Schritt zur Vision Zero sein könnte.

So ist es auch. Hochautomatisierte und autonome Fahrzeuge sind für uns wichtige Hoffnungsträger. Mit seinem Vorstandsbeschluss unterstützt der DVR die Weiterentwicklung des Automatisierungsgrades von Fahrfunktionen. Wir erhoffen uns daher sehr viel von den technischen Entwicklungen. Allerdings wissen wir, dass nicht nur der Mensch Fehler machen kann, sondern auch die Technik fehlerhaft sein kann. Schließlich wird sie auch von Menschen entwickelt.

Was macht der DVR aktiv, um diese Technologie voranzubringen?

Der DVR arbeitet in vielen Arbeitsgruppen mit, um zum Beispiel die Prüfkriterien für die Zulassung zu gestalten. Wir behandeln aber auch gesellschaftliche Fragestellungen, wie die Auswirkung auf den Güterverkehr oder den öffentlichen Nahverkehr und unterstützen damit das Bundesverkehrsministerium bei der Gestaltung der Forschungsprogramme. Speziell zu Fragen der Ethik des automatisierten Fahrens haben wir ein Symposium durchgeführt. In Kürze werden wir ein Lexikon zu dem Thema herausgeben.

Wo sieht der DVR gegenwärtig die größten Schwierigkeiten?

Die größten Schwierigkeiten bestehen darin, das Rechtssystem für das automatisierte Fahren zielführend weiterzuentwickeln. Dazu gehören nicht nur die Haftungsfragen, sondern auch alle detaillierten Fragen nach den Typzulassungskriterien für diese Fahrzeuge oder auch deren regelmäßige technische Überwachung.

Welche Auswirkungen wird das autonome Fahren auf die Verkehrsdichte haben?

Es gibt Hypothesen, wonach insbesondere Robottaxen attraktiver sind als der öffentliche Nahverkehr und daher die Verkehrsdichte zunehmen könnte. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs reagieren werden und die neuen Technologien vielleicht auch zur Attraktivitätserhöhung ihrer Dienste einsetzen werden.

Autonome Fahrzeuge werden nur ein erster Schritt sein. Denkt man das konsequent weiter, werden sich auch die Stadtbilder ändern. Viele infrastrukturelle Maßnahmen, die heute helfen, den Verkehr zu regulieren, wie etwa Bodenschwellen, Kreisel, selbst Ampeln etc., wären in einer Welt mit autonomer Mobilität überflüssig.

Sie haben Recht. Mit zunehmender Automatisierung wird sich die Infrastruktur schrittweise verändern. Wir müssen das nutzen, um konkrete Verbesserungen für schwächere Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer und Fußgänger zu erreichen.

Muss nicht auch die Infrastruktur digital werden, damit autonomer Verkehr funktionieren kann?

Ziel ist es, autonome Fahrzeuge mit der aktuell bestehenden Infrastruktur sicher fahren lassen zu können. Dies gilt auch dann, wenn zum Beispiel Markierungen abgefahren sind oder Glatteis herrscht. Das Fahrzeug muss sich dann in einen sicheren Zustand bringen beziehungsweise rechtzeitig vom automatisierten Status abmelden. Allerdings kann eine digitale Infrastruktur und die Kommunikation mit ihr sehr hilfreich sein, die automatisierten Fahrfunktionen noch sicherer durchzuführen. Sie bieten eine zusätzliche Unterstützung, dürfen aber nicht Bedingung für das hochautomatisierte Fahren sein. Ein Robottaxi muss eine Ampel auch ohne die Vernetzung mit ihr erkennen können.

Welche gesundheitlichen Auswirkungen wird diese „Dauerbestrahlung“ von Funkwellen, WLAN, Bluetooth-Strahlen etc. auf den Menschen haben?

Bei der Typzulassung werden Fahrzeuge auf ihre elektromagnetische Verträglichkeit geprüft. Die zugrundeliegende Richtlinie gilt selbstverständlich auch für die autonomen Fahrzeuge. Wir gehen daher davon aus, dass es keine gesundheitlichen Auswirkungen geben wird. Allerdings werden wir auch hier regelmäßige Untersuchungen durchführen müssen.

Vielen Dank für das Interview.

Ein Artikel von
Falk Sinß

6. Oktober 2016

Kategorie

Wissen