Unter­weisungen bei schlechten Deutsch­kenntnissen

Durch die hohe Zahl an Einwanderern aus Drittländern in die EU sowie die vielen nicht muttersprachlichen Saisonarbeiter ergeben sich Probleme beim Arbeitsschutz. Was kann und muss der Betrieb unternehmen, damit Unterweisungen und Betriebsanweisungen auch verstanden werden?

Deutschland hat 81 Millionen Einwohner, von denen mehr als 16 Millionen einen Migrationshintergrund haben. Die meisten von ihnen kommen aus der Türkei (17,4 %), gefolgt von Polen (9,9 %), Russland (7,3 %) und Italien (4,7 %). Während der Flüchtlingswelle 2015 sind weitere 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen – der Großteil aus Syrien (50 %), Irak (15 %), Afghanistan (11 %) und den Balkanländern. Viele von den neu Hinzugekommenen verstehen Deutsch nur unzureichend.

Die Unterweisung der Mitarbeiter ist eine der grundlegenden Aufgaben des Arbeitgebers. Sie wird in folgenden Gesetzen und Verordnungen beschrieben:

ARBEITSSCHUTZGESETZ (ARBSCHG) § 12
„Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen. Die Unterweisung umfasst Anweisungen und Erläuterungen, die eigens auf den Arbeitsplatz oder den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Die Unterweisung muss bei der Einstellung, bei Veränderungen im Aufgabenbereich, der Einführung neuer Arbeitsmittel oder einer neuen Technologie vor Aufnahme der Tätigkeit der Beschäftigten erfolgen. Die Unterweisung muss an die Gefährdungsentwicklung angepasst sein und erforderlichenfalls regelmäßig wiederholt werden.“

BETRIEBSSICHERHEITSVERORDNUNG (BETRSICHV) § 12
„Bevor Beschäftigte Arbeitsmittel erstmalig verwenden, hat der Arbeitgeber ihnen ausreichende und angemessene Informationen anhand der Gefährdungsbeurteilung in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache zur Verfügung zu stellen.
Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten vor Aufnahme der Verwendung von Arbeitsmitteln tätigkeitsbezogen anhand der Informationen zu unterweisen. Danach hat er in regelmäßigen Abständen, mindestens jedoch einmal jährlich, weitere Unterweisungen durchzuführen. Das Datum einer jeden Unterweisung und die Namen der Unterwiesenen hat er schriftlich festzuhalten.

Bevor Beschäftigte Arbeitsmittel erstmalig verwenden, hat der Arbeitgeber ihnen eine schriftliche Betriebsanweisung für die Verwendung des Arbeitsmittels in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache an geeigneter Stelle zur Verfügung zu stellen.“

Auch die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) schreibt im § 14 vor, dass Betriebsanweisungen (die Grundlage der Unterweisungen) „in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache“ erstellt werden müssen.

Die Formulierung „in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache“ ist eindeutig und unmissverständlich. Der Ball liegt im Feld des Arbeitgebers. Er hat dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter mit schlechten Deutschkenntnissen die Betriebsanweisungen und Unterweisungen trotzdem verstehen können.

Es gibt einige Präventionsansätze, die bei sprachlichen Schwierigkeiten weiterhelfen können. Bereits bei der Einstellung sollte beispielsweise vereinbart werden, dass der neue Mitarbeiter Sprachkurse besucht. Bewährt hat sich auch der Einsatz von visuellem, nichtsprachlichem Unterweisungsmaterial wie die Napo-Trickvideos (www.napofilm.net). Die Filme zeigen Menschen am Arbeitsplatz in Situationen, die die Sicherheit am Arbeitsplatz betreffen. Der Hauptdarsteller Napo und seine Kollegen vermitteln ihre Botschaft nicht mit Worten, sondern mit allgemein verständlichen Gesten.

UNTERWEISUNG GEHÖRT ZU GRUNDLEGENDEN AUFGABEN DES ARBEITGEBERS

Unterweisungen bei schlechten Deutschkenntnissen: Deutschlandflagge
Illustration: shutterstock.com/Yevgenij_D

In einigen Branchen wie der Fleischindustrie stammt der größte Teil der nicht muttersprachlichen Mitarbeiter aus nur wenigen Herkunftsländern. Die Schlachter und Zerleger in den großen Schlachthöfen kommen nahezu ausschließlich aus Rumänien und Bulgarien. Daher sind dort sämtliche Hinweis- und Warnschilder dreisprachig.
Ein großer Vorteil ist, wenn es im Betrieb Mitarbeiter gibt, die sowohl gut Deutsch als auch die Sprache des betreffenden Kollegen sprechen. Sie sollten auf jeden Fall bei der Unterweisung zugegen sein, um bei Bedarf übersetzen zu können.

Die Betriebssicherheitsverordnung beschränkt die Forderung „in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache“ nicht auf Unterweisungen, sondern schließt auch Betriebsanweisungen mit ein. Die Betriebsanweisung ist ein Dokument zu einem bestimmten Arbeitsplatz. Es beschreibt die Gefahren, die von einer Maschine, einem Arbeitsverfahren, einem biologischen Arbeitsstoff oder einem Gefahrstoff ausgehen können. Des Weiteren werden darin Schutzmaßnahmen, Verhaltensregeln beim Umgang mit Störungen und Unfällen sowie Hinweise zur Ersten Hilfe und zur Entsorgung gegeben. Das heißt nichts anderes, als dass Betriebsanweisungen mehrsprachig sein müssen.

In der Land- und Forstwirtschaft beispielsweise arbeiten viele Saisonarbeiter, die kaum Deutsch verstehen und sprechen. Das Gefahrenpotenzial ist in dieser Branche besonders groß. Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) bietet daher Musterbetriebsanweisungen in Englisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch und Bulgarisch an. Damit sind die Hauptherkunftsländer der Saisonarbeitskräfte abgedeckt. Auch andere Berufsgenossenschaften bieten einen derartigen Service mittlerweile an.

GROSSES GEFAHRENPOTENTIAL IN BESTIMMTEN BRANCHEN

Doch die Pflicht des Unternehmers hat auch Grenzen. Gerichte haben mehrmals Kündigungsschutzklagen abgewiesen, wenn Beschäftigte wegen mangelnder Sprachkenntnisse entlassen wurden. Zum Beispiel das Bundesarbeitsgericht (2 AZR 764/08):
„Ist ein Arbeitnehmer nicht in der Lage, in deutscher Sprache abgefasste Arbeitsanweisungen zu lesen, so kann eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Es stellt keine nach § 3 Abs. 2 AGG verbotene mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft dar, wenn der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern die Kenntnis der deutschen Schriftsprache verlangt, soweit sie für deren Tätigkeit erforderlich ist.“

Zu klären wäre, ob eine Betriebsanweisung eine „Arbeitsanweisung“ im Sinne dieses Urteils ist. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu liegt noch nicht vor. Der Unternehmer tut also gut daran, wenn er seiner Pflicht, verständliche Sicherheitsinformationen zur Verfügung zu stellen, nachkommt.

Text: Franz Roiderer