Ausgeleitert

Aus Sicht des Arbeitsschutzes sind Leitern und Tritte keine sonderlich gern gesehenen Arbeitsmittel. Noch immer führt deren Benutzung zu vielen Arbeitsunfällen.

Im Jahr 2020 waren rund 35.000 Absturzunfälle zu verzeichnen, in 31,4 Prozent der Fälle (bei rund 11.000 Unfällen) erfolgte der Absturz von einer Leiter oder einem Tritt. Die Hauptursachen sind das Abrutschen von den Sprossen, das Wegrutschen der Leiter und Gleichgewichtsverlust. Selbst wenn der Absturz nur aus einer geringen Höhe erfolgt, drohen schwere Kopf- und Halsverletzungen. Zehn Beschäftigte sind 2020 dabei ums Leben gekommen, die gesetzliche Unfallversicherung verzeichnete im selben Zeitraum rund 1.300 neue Unfallrenten im Zusammenhang mit Leiterunfällen. 

Unfälle mit Leitern
Foto: KRAUSEWerk GmbH & Co. KG

DAS HEISST IM KLARTEXT, LEITERN SIND KEINE SICHEREN ARBEITSMITTEL.

Dass Leitern kritisch gesehen werden, zeigt schon der Blick in den Anhang 1 der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV): „Die Verwendung von Leitern als hoch gelegene Arbeitsplätze […] ist nur in solchen Fällen zulässig, in denen a) wegen der geringen Gefährdung und wegen der geringen Dauer der Verwendung die Verwendung anderer, sichererer Arbeitsmittel nicht verhältnismäßig ist und b) die Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass die Arbeiten sicher durchgeführt werden können.“

Das heißt im Klartext, Leitern sind keine sicheren Arbeitsmittel im Gegensatz zu Hubarbeitsbühnen oder Gerüsten. Leitern sind daher immer nur zweite Wahl. In der Gefährdungsbeurteilung muss der Unternehmer die Verwendung einer Leiter eigens begründen – und zwar unter Berücksichtigung der Gefährdung, der Dauer der Verwendung und der vorhandenen baulichen Gegebenheiten. Er muss auch darlegen, dass die Verwendung sicherer Arbeitsmittel geprüft wurde.

Die DGUV Vorschrift 38 „Bauarbeiten“ konkretisiert die Anwendungsbedingungen von Leitern noch weiter. Bei Bauarbeiten dürfen sie nur verwendet werden, wenn die Standhöhe nicht mehr als 2,00 Meter beträgt und bei einer ­Standhöhe von mehr als 2,00 und bis zu 5,00 Metern nur zeitweilige Arbeiten ausgeführt werden. Zudem dürfen sie als Arbeitsplatz nur dann genutzt werden, wenn der ­Beschäftigte mit beiden Füßen auf der Stufe stehen kann. Leitern mit Sprossen statt Stufen sind noch gefährlicher und dürfen nur eingesetzt werden, wenn die Gefährdungsbeurteilung ergibt, dass kein sichereres Arbeitsmittel verwendet werden kann und zudem die Leiter nur als Verkehrsweg und nicht als Arbeitsplatz benutzt wird.

Für diejenigen, die trotzdem ihrer Pflicht nachkommen wollen, existiert eine Fülle von Handlungshilfen für die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung. Besonders die Möglichkeit, die Gefährdungsbeurteilung softwarebasiert durchzuführen, kann eine erhebliche Erleichterung bei der Erstellung sein, oft führen Assistenten den Anwender vom ersten Schritt, bei dem Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festgelegt werden, über die Ermittlung der Gefährdungen bis hin zur Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung. Auch die geforderte Dokumentation wird durch die Softwarelösungen enorm erleichtert.

LEITERN MIT SPROSSEN STATT STUFEN SIND NOCH GEFÄHRLICHER.

Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) unter dem Titel „Ausgeleitert – Leitern, ein Auslaufmodell“ den Ersatz von Leitern durch Hubarbeitsbühnen, Plattform- oder Podestleitern mit Arbeitsschutzprämien unterstützt. Laut BG BAU müssen Dachflächen und andere hoch gelegene Arbeitsplätze, die nur über Leitern erreichbar sind, zur Inspektion oder Auftragsschätzung nicht zwangsläufig begangen werden. Diese Aufgaben könnten heutzutage von Drohnen übernommen werden.
Danach könnten die Flächen von Hubarbeitsbühnen oder Gerüsten aus gewartet oder gereinigt werden. Stangensysteme mit Teleskop-Funktion erhöhen dann die Reichweite der Beschäftigten zusätzlich um ein Vielfaches. Kombiniert mit Tragehilfen reduziert sich auch die körperliche Belastung. Mit einer solchen Ausrüstung ließen sich Bereiche reinigen, die ansonsten nur über Leitern erreichbar wären.

Die DGUV Vorschrift 38 verlangt vom Arbeitgeber darüber hinaus, dass der Aufstieg zum Arbeitsplatz über Treppen oder Laufstege erfolgen muss. Nur wenn das, wie beispielsweise in Schächten, nicht möglich ist, dürfen tragbare Leitern als Verkehrsweg benutzt werden. Das gilt auch, wenn der zu überbrückende Höhenunterschied nicht mehr als 5,00 Meter beträgt und der Aufstieg nur für kurzzeitige Bauarbeiten benötigt wird.

Wenn Leitern benutzt werden, ist wenn möglich eine ­Stufenleiter vorzuziehen. Trittflächen ab einer Tiefe von acht Zentimetern sind nachweislich sicherer und senken die körperlichen Belastungen für die Beschäftigten erheblich. Zusätzlich muss darauf geachtet werden, dass nur passendes Leiterzubehör verwendet wird, die Beschäftigten regelmäßig unterwiesen und die Leitern kontrolliert und geprüft werden.

WENN LEITERN BENUTZT WERDEN, IST, WENN IMMER MÖGLICH, EINE STUFENLEITER VORZUZIEHEN.

Text: Franz Roiderer