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Die Liste der Berufskrankheiten und die gesetzlichen Regelungen dazu ändern sich ständig. Jüngster Neuzugang: SARS-CoV-2-Infektionen – unter bestimmten Bedingungen. Außerdem neu seit Anfang 2021: Der sogenannte „Unterlassungszwang“ ist als Anerkennungsvoraussetzung für einige Berufskrankheiten entfallen. Ein Überblick.
CORONA UND DIE BK-LISTE
Im Frühjahr 2020 erreichte die Corona-Pandemie Deutschland, seither ist das Leben hierzulande ebenso wie im Rest der Welt nicht mehr, wie es war. Wohin wir auch blicken und hören, seit mehr als einem Jahr ist das infektiöse Virus überall ein Thema – inzwischen auch auf der Berufskrankheitenliste.
Eine Covid-19-Erkrankung kann unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit anerkannt werden. Sie firmiert dann – neben Infektionskrankheiten wie beispielsweise Hepatitis A bis E, Tuberkulose, HIV-Infektion und AIDS – als Berufskrankheit (BK) Nr. 3101.
80 KRANKHEITEN AUF DER LISTE
Berufskrankheiten (BK) sind Krankheiten, die in der sogenannten BK-Liste – der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – aufgeführt sind. Diese enthält derzeit 80 Krankheiten, die nach medizinischen Erkenntnissen durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre berufliche Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die Restbevölkerung ausgesetzt sind.
Die erstmals 1925 erstellte „Liste der anerkennungsfähigen Berufskrankheiten“ wird regelmäßig entsprechend dem wissenschaftlichen Forschungsstand aktualisiert. Ob die Voraussetzungen für die Anerkennung neuer Berufskrankheiten vorliegen, prüft der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Berufskrankheiten im konkreten Fall rechtsverbindlich festzustellen, ist Aufgabe der Unfallversicherungsträger.
Was tun im Verdachtsfall?
Wer befürchtet, sich mit SARS-CoV-2 infiziert zu haben, sollte seinen Arzt oder den Betriebsarzt auf einen möglichen beruflichen Zusammenhang ansprechen. Ärzte sind verpflichtet, jeden begründeten Verdacht auf eine Berufskrankheit beim zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung anzuzeigen – dasselbe gilt für Arbeitgeber.
„Wer sich bei der Arbeit oder auf dem Weg dorthin mit dem Coronavirus infiziert, sollte das unbedingt seinem Arbeitgeber melden. Wenn der sich weigert, die Unfallanzeige entgegenzunehmen, kann man sich auch selbst an den zuständigen Unfallversicherungsträger wenden“, empfiehlt Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), allen Betroffenen. „Es gilt: Nicht abwimmeln lassen, denn die gesetzliche Unfallversicherung bietet bei Arbeitsunfällen optimale Leistungen, die über die der gesetzlichen Krankenkassen hinausgehen. Und im Falle einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit besteht Anspruch auf eine Unfallrente.“ Das sei vor allem wichtig, weil bislang wenig über Spätfolgen einer Corona-Erkrankung bekannt ist.
WER SICH MIT CORONA INFIZIERT HAT, SOLLTE EINEN MÖGLICHEN BERUFLICHEN ZUSAMMENHANG ÄRZTLICH ABKLÄREN LASSEN
Wer bezahlt den Corona-Test?
Unter bestimmten Umständen werden die Kosten für einen SARS-CoV-2-Test von der gesetzlichen Unfallversicherung übernommen. Das ist zum Beispiel möglich, wenn Betroffene im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit im Gesundheitswesen oder in Laboratorien direkten Kontakt zu einer Person hatten, die zu dem Zeitpunkt nachweislich oder möglicherweise mit SARS-CoV-2 infiziert war.
Wer trägt die Kosten für Heilbehandlung und Reha?
Wenn eine Covid-19-Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt ist, übernimmt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten der Heilbehandlung – einschließlich der Maßnahmen zur medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation. Eine Rente kann bezahlt werden, wenn Betroffene auch nach Abschluss der Reha vermindert erwerbsfähig sind. Wenn es zum Schlimmsten kommt, dem Todesfall, können Hinterbliebene eine Hinterbliebenenrente erhalten.
DIE RECHTSLAGE: CORONA-ERKRANKUNG ALS ARBEITSUNFALL ODER BERUFSKRANKHEIT?
- Eine Covid-19-Erkrankung kann als Berufskrankheit (BK-Nr. 3101 Infektionskrankheiten) anerkannt werden, wenn die betroffene Person im Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtspflege oder in einem Labor tätig oder durch eine andere Tätigkeit in ähnlichem Maße infektionsgefährdet war.
- Hat sich eine Person infolge einer Beschäftigung mit nachweislich geringerer Gefährdung mit dem Coronavirus infiziert, kann die Erkrankung einen Arbeitsunfall darstellen – auch wenn die Infektion auf dem Arbeitsweg erfolgt ist (Wegeunfall).
- Ob die Voraussetzungen zur Anerkennung einer Covid-19-Erkrankung als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit vorliegen, prüft und bewertet der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Einzelfall.
- Bei einem Arbeitsunfall muss die Covid-19-Erkrankung auf eine nachweislich mit dem Virus infizierte Person („Indexperson“) zurückzuführen sein. Das setzt einen intensiven beruflichen Kontakt voraus.
- Lässt sich keine konkrete Indexperson feststellen, kann auch eine größere Anzahl infizierter Personen im Arbeitsumfeld als Nachweis für die Ansteckung infolge der versicherten Tätigkeit ausreichen.
- Die Leistungen bei einer Covid-19-Erkrankung (Akutbehandlung, Rehabilitation, Verletztengeld, Rente) sind bei einem anerkannten Arbeitsunfall und einer anerkannten Berufskrankheit identisch.
Quelle: DGUV-Mediencenter – „Infektion mit SARS-CoV-2 kann auch ein Arbeitsunfall sein“
UNTERLASSUNGSZWANG? WAR EINMAL
Was hat sich geändert?
Anfang 2021 traten mehrere Gesetzesänderungen mit Blick auf die Definition, Prävention und Entschädigung von Berufskrankheiten in Kraft. Eine zentrale Neuerung: Der „Unterlassungszwang“, der bisher eine Voraussetzung für die Anerkennung bestimmter Berufskrankheiten war, fiel weg. Diese Änderung folgt der Gesetzesbegründung, nach der es sich bei dem Unterlassungszwang um ein „historisch überkommenes Instrument des Berufskrankheitenrechts, das heute nicht mehr erforderlich ist“, handele, dessen Auswirkungen zu unangemessenen Nachteilen für die Versicherten führten. Bis Ende 2020 konnten insgesamt neun Berufskrankheiten – unter anderem die häufig angezeigten Haut-, Atemwegs- oder Bandscheibenerkrankungen – nur anerkannt werden, wenn Betroffene all jene Tätigkeiten unterließen, die zu der Erkrankung geführt hatten. Das führte nicht selten zur Berufsaufgabe. Diese Voraussetzung zur Anerkennung der Krankheitsbilder ist nun weggefallen.
Was steckt dahinter?
Vereinfacht gesagt: Wer an einer Berufskrankheit leidet, kann trotzdem weiterarbeiten. Die Unfallversicherungsträger müssen Personen, die unter gefährdenden Bedingungen weiterarbeiten, Präventionsangebote machen – die Betroffenen wiederum sind zur Mitwirkung verpflichtet. Denn: Die Anerkennung jeder Berufskrankheit ist nun unabhängig von der Frage möglich, ob die schädigende Tätigkeit auch aufgegeben wurde.
Gibt es einen Haken?
Fest steht, dass der Unterlassungszwang bisher bei einigen Erkrankungen auch einem präventiven Zweck diente. Zwei Maßnahmen sollen künftig verhindern, dass ein Betroffener seine Gesundheit in Mitleidenschaft zieht, weil er eine schädigende Tätigkeit nicht unterlässt:
- Die Unfallversicherungsträger müssen passende Präventionsangebote machen.
- Versicherte sind verpflichtet, die Angebote zur Individualprävention wahrzunehmen.
Das bedeutet: Mit der Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit sind für beide Seiten Pflichten hinsichtlich der Prävention verknüpft. Betroffene Beschäftigte müssen an sogenannten „individualpräventiven Maßnahmen“ teilnehmen: Angeboten, die das Verständnis für die Ursachen und die Entwicklung einer Erkrankung vertiefen und eine Verschlimmerung oder einen erneuten Ausbruch verhindern sollen. Das kann ein Seminar in Sachen Hautschutz ebenso sein wie ein berufsspezifisches Trainingsprogramm für den Rücken oder die Knie. Gleichzeitig müssen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen die Betroffenen umfassend über alle gesundheitlichen Gefahren, die ihre Tätigkeit mit sich bringt, informieren und zu möglichen Schutzmaßnahmen beraten.
Wie wirkt sich die Änderung aus?
Was die Neuerung in der Arbeitswirklichkeit bewirkt, lässt sich am Beispiel der ewigen Nummer eins der Berufskrankheitenstatistik skizzieren: Hauterkrankungen (BK 5101). Am häufigsten kommen entzündliche Varianten wie das Handekzem durch Feuchtarbeit und die Kontaktallergie durch hautbelastende Substanzen vor. Bei mehr als 18.000 Fällen pro Jahr bestätigt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) einen beruflichen Zusammenhang. Aber nur rund 500 Fälle pro Jahr werden tatsächlich als Berufskrankheit BK 5101 anerkannt. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz ist der Unterlassungszwang: die bislang verpflichtende Aufgabe des Berufs für die Anerkennung dieser Berufskrankheit.
„Die Berufsaufgabe ist aber in den meisten Fällen gar nicht notwendig, da sich der Hautzustand der Patienten mit Schulungs- und Präventionsmaßnahmen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich so weit verbessern lässt, dass sie langfristig in ihrem angestammten Beruf weiterarbeiten können“, sagt Prof. Christoph Skudlik, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie (ABD).
Was haben Betroffene davon?
Durch die neue Gesetzesregelung erhalten Patienten schneller rechtsverbindlich und ohne den Beruf aufgeben zu müssen eine Behandlung über die zuständige Berufsgenossenschaft mit allen Vorteilen gegenüber einer Behandlung, deren Kosten die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt. Außerdem ist gegebenenfalls ein Rentenanspruch je nach Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit möglich.
„Der Wegfall des Unterlassungszwangs bedeutet einen fundamentalen Wechsel in der Versorgung von Patienten mit berufsbedingten Hauterkrankungen“, sagt Skudlik. Bislang gab es – bedingt durch den Unterlassungszwang – bei der Kostenübernahme der Maßnahmen immer auch einen Vorbehalt durch die jeweilige Berufsgenossenschaft. Denn: Ohne BK-Anerkennung war die gesetzliche Krankenversicherung mit ihren kostenbedingten Einschränkungen zuständig. „Mit der neuen Regelung können wir künftig rechtssicher unseren Patienten die bestmögliche Versorgung ihrer berufsbedingten Hauterkrankung zukommen lassen“, so Skudlik.
Der Wegfall des Unterlassungszwangs hat nach Einschätzung des Experten eine weitere Konsequenz: „Die Individual-Präventionsmaßnahmen werden eine noch größere Bedeutung gewinnen, da diese bei einer anerkannten Berufskrankheit rechtsverbindlich von den Berufsgenossenschaften übernommen werden müssen.“