Backe, backe, Bäckerasthma

Ein Bäcker mit Mehlstauballergie. Kann das gutgehen? Hans Gebert zeigt, dass das sehr wohl gutgehen kann. Der Franke setzt dafür eine Reihe von Maßnahmen um, arbeitet mit Absauganlagen für die Luft und einem speziellen Mehl, das er selbst mitentwickelt hat.

Arbeit oder Vergnügen? Für Hans Gebert ist das Backen beides. Und in jedem Fall seine große Leidenschaft, der er noch lange nachgehen möchte. „Mein Ziel ist es, zu arbeiten, bis ich 95 Jahre alt bin“, sagt er im schönsten Fränkisch und ergänzt augenzwinkernd: „Ab 90 aber nur noch halbtags.“ Denn das, so schiebt er als Erklärung nach, würde ja bedeuten, dass er auch im hohen Alter noch fit und bei guter Gesundheit sei.

Dabei ist es alles andere als selbstverständlich, dass Hans Gebert seine Tätigkeit überhaupt noch ausüben kann. Denn der 57-Jährige ist allergisch gegen Mehlstaub – was selbstredend ähnlich ungünstig ist wie ein Gärtner mit Rasenallergie oder ein Pfleger im Tierheim, der auf Katzenhaare reagiert. Mitte der 1980er-Jahre stellte ein Lungenfacharzt die Allergie fest. Und schlimmer noch: das sogenannte „Bäckerasthma“. Nach der Diagnose sei ihm vieles durch den Kopf gegangen, erinnert sich Gebert. Das „Sch“-Wort sei auch dabei gewesen. Seinen geliebten Beruf aufzugeben, gehörte aber nicht zu seinen ersten Gedanken. Es sei eher die Frage gewesen: Wie krank bin ich wirklich?

Bis es damals so weit war, dass er endlich einen Arzt aufsuchte, lag bereits ein langer Leidensweg hinter ihm. „Es fing damit an, dass die Nase leicht gelaufen ist und dass ich ab und zu einen Schnupfen hatte“, blickt Hans Gebert zurück. Damals war er als junger Mann noch viel mit dem Motorrad unterwegs. Darauf habe er die Symptome zurückgeführt. „Ich habe es darauf geschoben, dass ich mir eine Erkältung eingefangen habe, weil ich geschwitzt hatte. Ans Mehl habe ich nicht gedacht.“

VON DER ALLERGIE ZUM ASTHMA

Der „Werdegang“ von einer Mehlstauballergie
zum Bäckerasthma ist leicht erklärt: Es fängt recht harmlos an mit juckenden, trockenen Augen. Die nächste Stufe ist eine verstopfte Nase oder eine ständige laufende Nase (Fließschnupfen), auch Bäckerschnupfen genannt. Die Folge: Der Betroffene atmet durch den Mund. Die (fein-)staubhaltige Luft gelangt so ungefiltert in die unteren Atemwege. Es kommt zum „Etagenwechsel“, aus der Allergie wird Asthma.

DEN FAMILIENBETRIEB NACH 120 JAHREN AUFGEBEN?
DAS WAR KEINE OPTION

Vorschau: Bäcker mit Brot
Hans Gebert leidet zwar an einer Mehlstauballergie. Seinen Beruf musste der Bäcker aber trotzdem nicht aufgeben. Foto: chrisander/Christian Schwab

Mit der Zeit wurde es schlimmer. „Wenn es in der Backstube gestaubt hat, habe ich angefangen zu niesen“, sagt Gebert. Dann kam die Atemnot. „Eines Nachts bin ich aufgewacht und habe gedacht: Ich überlebe diese Nacht nicht.“ Als er sich dann mit letzter Kraft zum Arzt schleppte, sei er beinahe überfahren worden. „Weil ich so langsam über die Straße gegangen bin. Der Autofahrer hat gemeint, ich will ihn auf den Arm nehmen. Aber es ging einfach nichts mehr.“

Die Bäckerei Gebert in der Nähe von Würzburg hat eine lange Tradition. Seit 120 Jahren bietet der Familienbetrieb den Menschen in Gnodstadt und Umgebung Brote, Brötchen und andere Backwaren an. Das wollte Hans Gebert unbedingt fortführen: „Der Beruf ist klasse. Es macht mir Spaß, immer wieder Neues auszuprobieren und kreativ zu sein.“

Neues ausprobieren und kreativ sein musste er auch, um seine Tätigkeit weiter ausüben zu können. Denn die Asthma-Medikamente brachten bei der Arbeit nur wenig Linderung und auch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes war nicht der Weisheit letzter Schluss. „Der Mehlstaub war ja trotzdem noch da und es ist nicht viel besser geworden.“

Gebert suchte gemeinsam mit der zuständigen Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) nach einer Lösung, die damals vor allem in Absauganlagen bestand. „Die Absaugung hat sofort eine spürbare Besserung gebracht“, sagt Hans Gebert. Die ersten Absauggeräte hatten aber noch einige Nachteile. So seien er und seine Mitarbeiter regelmäßig der Zugluft ausgesetzt gewesen, noch dazu seien Teige schneller „verhautet“, sie hätten also schneller eine unerwünschte Haut gebildet. Inzwischen ist die vierte Genera-tion der Absauganlagen installiert. Die funktioniert weitaus schonender. Noch dazu kann Gebert sie einstellen wie eine Klimaanlage, sodass auch im Sommer angenehme Temperaturen in der Backstube herrschen und die Luft regelmäßig ausgetauscht wird. Der Mehl-staub hat sich im Vergleich zu den Zeiten vor der Absauganlage nahezu vollständig reduziert.

DIE BACKSTUBE WIRD ZUM VERSUCHSLABOR MIT NEBELMASCHINEN UND ABSAUGANLAGEN

Auf dem Weg von der ersten zur vierten Generation der Absauganlagen verwandelte sich seine Backstube zwischenzeitlich in eine Art „Versuchslabor“, wie der Bäckermeister heute sagt. Die BGN-Experten maßen den Mehlfeinstaub in der Luft bei ein- und ausgeschalteter Absaugung. Sie machten mit Nebelmaschinen die Luftströme sichtbar. Sie testeten mikrobiologisch, wie das Mehl reagiert. Sie verkabelten Hans Gebert, um festzustellen, welche Prozesse bei der Arbeit in seinem Körper ablaufen.

Vorschau: Bakvorgang
Foto: chrisander/Christian Schwab
Vorschau: Backstube
Die Absauganlage am Arbeitstisch sorgt dafür, dass der Feinstaub nicht in die Atemluft gelangt. Durch die Schlitze wird die Luft ­abgesaugt und über die Schläuche abtransportiert. Foto: chrisander/Christian Schwab

Die Akribie der BGN hat einen Grund. Und der trägt die Nummer 4301. Denn unter dieser Nummer ist die Mehlstauballergie beziehungsweise das Bäckerasthma in der Berufskrankheitenliste einsortiert und definiert als „durch allergisierende Stoffe verursachte ob-struktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie)“. Im Jahr 2021 gab es im Backgewerbe 224 Verdachtsanzeigen auf die Berufskrankheit 4301. Das klingt nicht nach viel und ist es im Vergleich zu den Vorjahren auch nicht, wo es immer rund 500 Verdachts-fälle gab. Vor Jahrzehnten, als es Hans Gebert schlecht ging, waren es manchmal mehr als 2.000. Aber Siegfried Döbler, der BGN-Branchenkoordinator für das Backgewerbe, rät trotz der scheinbar guten Entwicklung zur Vorsicht. Die geringe Zahl habe auch damit zu tun, dass während Corona weniger Menschen wegen Allergieverdacht zum Arzt gegangen seien und dass es weniger Betriebsbegehungen von Betriebsärzten gegeben habe, bei denen in der Vergangenheit so mancher Fall ans Licht kam.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. „Es gibt eine ziemlich große Dunkelziffer“, sagt Döbler. Eine Mehlstauballergie sei weitverbreitet. Bei etwa zehn Prozent der Menschen in Deutschland würde sich bei einer ärztlichen Vorsorgeuntersuchung herausstellen, dass sie darunter leiden, schätzt der Branchenkoordinator. Im Backgewerbe arbeiten in Deutschland etwa 270.000 Menschen – statistisch müsste es dort also 27.000 Betroffene geben. Gibt es aber bei Weitem nicht, zumindest nicht ansatzweise so viele Meldungen. Zum einen würden viele ihre verstopfte oder triefende Nase, ihre trockenen Augen und ihre Atemnot nicht mit dem Beruf in Verbindung bringen. Zum anderen hätten viele Angst: „Wenn ich zur BG gehe und das dort melde, muss ich meinen Beruf aufgeben.“

Beispiele wie das von Hans Gebert zeigen, dass das nicht so sein muss. Zudem endete im vergangenen Jahr der Unterlassungszwang bei einigen Berufskrankheiten, darunter die BK 4301. Bis dahin galt: Wurden bei jemandem die medizinischen Voraussetzungen für die BK 4301 festgestellt, musste derjenige seine Tätigkeit aufgeben, um eine Anerkennung der Berufskrankheit zu bekommen. Unabhängig davon gab es schon immer das Angebot der BGN, im Rahmen des Bäckerpräventionsprogramms verstärkt mit individuellen Maßnah-men gegenzusteuern, sodass eine weitere Ausübung des Berufs möglich war und sein kann.

Für Gebert war die Installation der Absauganlagen der erste wichtige Schritt, um die Mehlstauballergie in den Griff zu bekommen und weiter in seinem Beruf arbeiten zu können. Ein weiterer Meilenstein lag im Mehl selbst. Genauer gesagt im Trennmehl, das zwar nicht für die Backprodukte selbst, aber für die Herstellung verwendet wird. Es kommt zum Beispiel auf Arbeitsflächen oder an den Händen des Bäckers selbst zum Einsatz, damit der Teig nicht festklebt und sich verarbeiten lässt. Aber: Trennmehl staubt eben und das kann die Allergie auslösen.

Es war Anfang der 1990er-Jahre auf der Internationalen Bäckereiausstellung (iba), als Hans Gebert erstmals mit einer Maschine in Berührung kam, die nicht nur sein Leben, sondern das vieler Leidensgenossen verändern sollte. Sie stammte aus der früheren DDR und „sollte eigentlich den Geschmack des Tees verbessern“, weiß der Bäcker. Mit einem feinen Wasserstrahl wurden Teeblätter beschossen, um die Aromen herauszulösen. Beim Tee klappte es nicht. Aber die BGN und das Institut für Getreideverarbeitung (IGV) hatten die Idee, mit der riesigen, fast fünf mal zwei Meter großen Maschine staubarmes Trennmehl herzustellen. Die Herstellung von befeuchtetem Mehl gelang zwar, aber das Verfahren zur Zurücktrocknung und Herstellung von Trennmehl existierte noch nicht. Und da kam Gebert ins Spiel.

DER CLOU: EINE RIESIGE MASCHINE, DIE FÜR TEE GEDACHT WAR

BGN und IGV brachten die Maschine nach Gnodstadt. Vereinfacht dargestellt funktioniert sie so: Damit das Mehl hinterher nicht staubt, wird es erst im Gerät verwirbelt. Dann benetzt der feine Wasserstrahl das Mehl, das anschließend noch einmal verwirbelt wird und unten herausfällt. Knackpunkt war die ­Trocknung. Der findige Franke, der nicht nur backt, sondern sein Getreide zumindest teilweise selbst anbaut und mahlt, hatte die zündende Idee: Er siebte das benetzte Mehl auf ein Backblech, trocknete es für einige Minuten bei etwa 300 Grad Celsius im Backofen, siebte es noch einmal – und fertig war das zurückgetrocknete Trennmehl. Dessen großer Vorteil: Es staubt kaum noch. Vor allem der Anteil des schädlichen Feinstaubs, der für die Entstehung von Allergie und Asthma verantwortlich ist, ist deutlich reduziert, weil die Mehlpartikel nach der Rücktrocknung größer sind.

Vorschau: Mehlsieben
Foto: chrisander/Christian Schwab

„Jeder kann Bäckerasthma bekommen, auch nach 20 Jahren im Beruf noch. Wenn ich dieses Risiko durch einfache Maßnahmen reduzieren kann, ist es das Schlaueste, was ich tun kann“

Das „Gebert-Verfahren“, so heißt der Prozess zu Ehren des Entdeckers, war geboren. Die Industrie hat das Verfahren inzwischen ange-passt, um in großer Menge das sogenannte HT-Trennmehl (hydrothermisch behandeltes Mehl) zu produzieren. Aber Hans Gebert stellt sein Trennmehl immer noch auf die ursprüngliche Art her. Die Maschine ist allerdings mittlerweile deutlich kleiner geworden.

Für Gebert bedeutet die Herstellung des HT-Trennmehls mehr Aufwand, für andere Bäcker kostet die Anschaffung des Trennmehls etwas mehr Geld. „Aber im Endeffekt ist es der bessere Weg“, sagt Hans Gebert. Schließlich gehe es darum, die Entstehung der Mehl-stauballergie zu verhindern. Langfristig würde eine Erkrankung oder eine Umschulung bei der BGN Mehrkosten verursachen, die dann wiederum auf die Beiträge der Bäcker umgelegt würden. Wer heute also die geringen Mehrkosten für HT-Trennmehle scheue, zahle im Endeffekt drauf.

Einige Zahlen untermauern die Aussage. So kommt nur etwa ein Siebtel der drei Millionen Versicherten der BGN aus dem Backgewerbe. Dennoch entfallen 38 Prozent der BGN-Ausgaben für Berufskrankheiten auf die Atemwegserkrankungen in dieser Branche. „Das Backgewerbe hat in erster Linie kein Unfallproblem, ­sondern ein BK-Problem“, bringt es Döbler auf den Punkt.

DIE MEHLSTAUBALLERGIE BLEIBT, ABER DIE BESCHWERDEN SIND WEG

Er verweist auf die Arbeitssicherheitsinformation (ASI) 8.80 „Vermeidung von Bäckerasthma“. In dem BGN-Ratgeber sind verschiedene Basismaßnahmen aufgeführt, um das Staubaufkommen in Backstuben zu reduzieren. Dazu gehören etwa Hinweise zur Mehllagerung, zur Teigherstellung und -aufbereitung, zum Backen, zur Hygiene, aber auch zur Gestaltung der Räume, Fußböden, Wände und Decken sowie zu Unterweisungen der Mitarbeiter und zur Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen.

Vorschau: BÄcker zwei Laibe Brot
Foto: chrisander/Christian Schwab

Darüber hinaus sind spezielle Maßnahmen aufgeführt. Dazu zählen unter anderem die Empfehlung zum Tragen von FFP2- oder FFP3-Masken bei staubintensiven Tätigkeiten. Oder auch die In­­stallation von Absauganlagen, wie es Hans Gebert schon vor Jahrzehnten getan hat.

Die beste Maßnahme sei im Falle einer Bäckerasthma-Erkrankung die Berufsaufgabe oder der Berufswechsel, um nicht mehr mit dem auslösenden Feinstaub in Berührung zu kommen. „Da kann es keine zwei Meinungen geben“, so Döbler. Noch besser: mit präventiven Maßnahmen dafür sorgen, dass sich erst gar keine Mehlstauballergie entwickelt. „Wenn ich das Risiko durch einfache Maßnahmen reduzieren kann, ist es das Schlaueste, was ich tun kann“, sagt Döbler, denn: „Jeder kann Bäckerasthma bekommen, auch nach 20 Jahren im Beruf noch.“

„Es ist alles miteinander verknüpft“, sagt der 57-Jährige. Das fange damit an, bei der Teigherstellung behutsam mit dem Mehl umzuge-hen, und höre damit auf, die Backstube nicht mit einem Luftgebläse zu reinigen, obwohl das schneller gehe. Insgesamt also weniger Staub aufzuwirbeln. Hans Gebert haben diese Maßnahmen geholfen. „Die Allergie verschwindet nicht mehr“, sagt er. „Mir geht es aber so gut, dass ich beschwerdefrei bin.“ Im Moment spricht also nichts dagegen, dass er weitermachen kann, bis er 95 Jahre alt ist. Wenngleich ab 90 nur noch halbtags.

Text: Holger Schmidt